Das klingt beinahe nach Science-Fiction. Wie sieht es mit den kurzfristigen Entwicklungen aus?
Bauer: Die Arbeitswelt wird sich weiter verändern. Repetitive Tätigkeiten können bereits heute im Rahmen von Robotic Process Automation durch Software-Roboter automatisiert werden. Folglich werden in jedem Prozess innerhalb eines Unternehmens Veränderungen spürbar werden, denn wir werden KI einsetzen müssen, um weiterhin produktiv zu bleiben. Dementsprechend werden auch alle Mitarbeitenden sich mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Nicht jeder muss KI-Experte werden, jedoch müssen sich die Mitarbeitenden bewusstmachen, wo KI-Technologien eingesetzt und welche Entscheidungen durch KI vorbereitet oder unterstützt werden. Das ist eine weitere Voraussetzung für das Vertrauen der Menschen in die jeweilige Anwendung.
Damit sprechen Sie ein weit verbreitetes Problem an, denn oft erscheint KI für „Nicht-Experten“ mystisch und intransparent. Wie kann das Vertrauen in die Technologie gestärkt werden?
Bauer: In der Tat wird KI in unserer Gesellschaft – im Vergleich zu anderen Ländern – momentan eher verhalten bis skeptisch wahrgenommen. Dies liegt daran, dass jeder unter KI etwas anderes versteht. Die „eine“ KI existiert aber nicht. Nichtsdestotrotz stellen sich viele Menschen natürlich Fragen bezüglich des Datenschutzes, möglicher Diskriminierungseffekte oder der Gefahren eines Jobverlusts. Für diesen Veränderungsprozess müssen wir die autonomen Systeme transparenter und erklärbar machen. Menschen sollen verstehen, was KI-Technologien können und wo ihre Grenzen liegen. Dazu müssen wir mit miteinander ins Gespräch kommen. Mit der Plattform Lernende Systeme fördern wir diesen Dialog.
Außerdem müssen Nutzer schon beim Design von Anwendungen in Unternehmen eingebunden werden. Dazu müssen aber auch grundlegende Begriffe und Anwendungsbeispiele in Form von Demonstrationen und Qualifizierungen bereitgestellt werden. Nur so kann ein verantwortungsbewusster und partizipativer Gestaltungs- und Einführungsprozess gelingen. Am Fraunhofer IAO arbeiten wir verstärkt daran, wie wir KI-Technologien so aufbereiten, dass sie nachvollziehbar und erlebbar werden. Im Future Work Lab beispielsweise können Besucher Anwendungen ausprobieren und „hinter“ die KI blicken: Was passiert dort? Welche Daten werden verwendet? Wo sind die Grenzen? KI wird alle Lebensbereiche tangieren und wir nutzen sie bereits heute täglich in unseren Apps, somit ist eine Beschäftigung mit dem Thema für uns alle wichtig.
Wo sehen Sie derzeit die größten Herausforderungen für KI?
Bauer: Wenn man sich die aktuelle Studienlage und die Unternehmenspraxis ansieht, erkennt man vor allem Herausforderungen im Bereich Datenschutz und Datensicherheit, hohe Implementierungskosten, fehlende Akzeptanz, mangelndes Know-how sowie verbesserungsfähige Systematiken zur Identifikation und Einführung von KI-Technologien. Zusätzlich tun sich viele Unternehmen schwer damit, neue Geschäftsmodelle und Marktpotenziale durch die Nutzung von Daten und KI zu erschließen. Wir empfehlen Unternehmen daher, sich systematisch vom betrieblichen Problem her einer KI-Anwendung zu nähern, dieses nicht zu groß zu wählen und loszulegen – alleine oder mit Partnern aus der Wissenschaft. Dann können Erfahrungen gesammelt und in überschaubaren Dimensionen erste Gehversuche – am besten bereits in bereichsübergreifenden Teams – gemacht werden.
Welche Möglichkeiten sehen Sie dahingehend für Unternehmen?
Bauer: Hier können Partnerschaften und Industrienetzwerke helfen, Kunden und Lieferanten zusammen zu bringen, um gemeinsam über Möglichkeiten des Datenaustauschs und der Nutzbarmachung für neue Produkte zu diskutieren. Wir haben am Fraunhofer IAO in der Vergangenheit oft die Rolle übernommen, Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größen zusammenzubringen, um gemeinsam an produktiven und umsetzbaren Lösungen zu arbeiten. Derzeit planen wir für Herbst ein weiteres Industrienetzwerk zum Thema „KI in der Produktion“. Damit wollen wir Unternehmen ans Thema heranführen, damit sie nach der Krisenzeit die Vorteile neuer Technologien in Produktivität und Resilienz ummünzen können.
Vielen Dank für das Gespräch, Dr. Bauer!
Das Interview führte Niklas Reiprich.