Der Vorstand der Thyssenkrupp Steel Europe AG hat dem Strategieausschuss des Aufsichtsrats in einem Eckpunktepapier die Pläne für ein umfassendes industrielles Zukunftskonzept vorgestellt. Damit reagiert das Unternehmen auf die sich weiter verfestigenden fundamentalen und strukturellen Veränderungen auf dem europäischen Stahlmarkt und in entscheidenden Kunden- und Zielmärkten. Das Konzept ist ein Paukenschlag, bedeutet es doch massive Veränderungen bei dem Stahlhersteller, der auch durch Mitbestimmung geprägt ist.
Zunehmend belasten Überkapazitäten und daraus resultierend steigende Billigimporte, insbesondere aus Asien, die Wettbewerbsfähigkeit erheblich. Zudem seien dringende Maßnahmen erforderlich, um die eigene Produktivität und betriebliche Effizienz von Thyssenkrupp Steel zu verbessern und ein wettbewerbsfähiges Kostenniveau zu erreichen. Das Eckpunktepapier wird in den kommenden Wochen im Dialog mit den Aufsichtsgremien und Arbeitnehmervertretungen konkretisiert. Die Thyssenkrupp AG sowie die mit 20 Prozent an Thyssenkrupp Steel beteiligte EP Group unterstützen das Konzept, heißt es.
Paukenschlag 1: Anpassung der Gesamtkapazität – Stilllegung des Standortes Kreuztal-Eichen
Das Eckpunktepapier von Thyssenkrupp Steel sieht vor, die Produktionskapazitäten marktbedingt von gegenwärtig 11,5 auf ein zukünftiges Versandzielniveau von 8,7 bis 9 Millionen Tonnen zu senken und somit an die zukünftigen Markterwartungen anzupassen. Das entspricht in etwa dem Versandergebnis des vergangenen Geschäftsjahres. Auch nach diesem Schritt bleiben die Vorteile des integrierten Hüttenverbundes erhalten. Ein wesentliches Element zur notwendigen Kapazitätsreduzierung bleibt weiterhin die Trennung von den Hüttenwerken Krupp Mannesmann (HKM). Das vorrangige Ziel ist es dabei, die Unternehmensanteile an der HKM zu verkaufen. Sollte ein Verkauf nicht möglich sein, wird Thyssenkrupp Steel mit den weiteren Gesellschaftern Gespräche über einvernehmliche Schließungsszenarien führen. Zudem soll die Schließung des Weiterverarbeitungsstandorts in Kreuztal-Eichen erfolgen.
Bekenntnis zur grünen Transformation
Thyssenkrupp Steel steht unverändert zur grünen Transformation und zur klimaneutralen Stahlproduktion. Das Unternehmen hält weiterhin an seinem Plan fest, die bereits im Bau befindliche Direktreduktionsanlage fertigzustellen, und führt gleichzeitig konstruktive Gespräche mit den zuständigen Stellen, um die Wirtschaftlichkeit dieses großen Investitionsprojekts unter den sich schnell verändernden Rahmenbedingungen sicherzustellen. Bis 2030 sollen die beiden Hochöfen 8 und 9 in Duisburg durch die DR-Anlage und die zwei geplanten innovativen Einschmelzer mit einer Versandkapazität von insgesamt 2,2 Mio. Tonnen pro Jahr ersetzt werden. Perspektivisch könnte ein weiterer Hochofen, z.B. durch einen modernen Elektrolichtbogenofen, ausgetauscht werden. Die Entscheidung dazu ist allerdings erst einmal vertagt. Sie soll zu einem späteren Zeitpunkt und „unter den dann gültigen wirtschaftlichen, technologischen und politischen Rahmenbedingungen“ fallen.
Paukenschlag 2: Beschäftigungsabbau und Reduzierung der Personalkosten
Die Umsetzung des jetzt vorgelegten Eckpunktepapiers wird zum einen mit einem deutlichen Abbau von Arbeitsplätzen sowie mit weiteren personalseitigen Kostensenkungen einhergehen. So sollen durch die geplante Anpassung des konzernweiten Produktionsnetzwerkes und eine deutliche Straffung der Verwaltungen bis 2030 ca. 5.000 Arbeitsplätze entfallen. Zudem sollen weitere ca. 6.000 Arbeitsplätze durch Ausgliederungen auf externe Dienstleister oder den Verkauf von Geschäftstätigkeiten entfallen. Darüber hinaus sollen die Personalkosten in den kommenden Jahren im Durchschnitt um zehn Prozent reduziert und somit auf ein wettbewerbsfähiges Kostenniveau angepasst werden. Im Rahmen der Neuaufstellung bleibt es laut Unternehmensangabe „das erklärte Ziel“, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden.
„Wir nehmen unsere Verantwortung sehr ernst und wollen für möglichst viele unserer Beschäftigten langfristige Perspektiven schaffen“, sagt Vorstandssprecher Dennis Grimm.
„Deshalb werden wir uns durch gezielte Kapazitätsanpassungen und Kostensenkungen an die veränderten Marktbedingungen anpassen. Um uns zukunftsfest aufzustellen, ist eine umfassende Optimierung und Verschlankung unseres Produktionsnetzwerkes und unserer Prozesse notwendig. Uns ist bewusst, dass dieser Weg Vielen vieles abverlangen wird, vor allem weil wir in den nächsten Jahren eine große Zahl an Arbeitsplätzen abbauen müssen, um wettbewerbsfähiger zu werden. Deshalb ist jetzt umso wichtiger, dass alle Beteiligten gemeinsam Verantwortung übernehmen, um den Stahl voranzubringen. Die Qualität unserer Produkte und unsere Technologiekompetenz sind dabei ein stabiles Fundament für unseren Weg nach vorne. Unsere Kunden können sich auch zukünftig auf unsere hochwertigen Flachstahlprodukte verlassen.“
Verselbständigung und weitere Umsetzung des Zukunftskonzeptes
Parallel zur Umsetzung des Konzepts geht die Thyssenkrupp AG die Verselbständigung des Stahlbereichs weiter an. In einem ersten Schritt gingen dabei 20 Prozent der Anteile von Thyssenkrupp Steel an die tschechische EP Corporate Group, mit dem Ziel, die Anteile auf 50 Prozent zu erhöhen.
Das aktuell erarbeitete Eckpunktepapier ist gleichzeitig Grundvoraussetzung für einen tragfähigen und belastbaren Businessplan und das IDW S6-Gutachten. Alle laufenden Investitionen und Performancemaßnahmen werden wie geplant weiter umgesetzt, um bereits jetzt die Hebel zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit zu nutzen. Ziel ist es, Thyssenkrupp Steel langfristig profitabel, wettbewerbsfähig und klimaneutral aufzustellen.
„Mit der strategischen und strukturell langfristig ausgerichteten Neuaufstellung werden wir Thyssenkrupp Steel nachhaltig fit für die Zukunft machen“, ist Marie Jaroni, Chief Transformation Officer bei Thyssenkrupp Steel, überzeugt.
„Noch haben wir in Bezug auf operative Effizienz und Rentabilität an entscheidenden Stellen im Wettbewerb Aufholbedarf. Diese Lücken müssen wir schließen, wenn wir eine gute Zukunft haben wollen. Dies ist umso wichtiger, weil wir die grüne Transformation konsequent vorantreiben wollen. Sie ist unverzichtbar und wird langfristig das bisherige kohlebasierte Geschäftsmodell ablösen. Die Umsetzung des heute vorgestellten Konzepts wird für unsere Wettbewerbsfähigkeit und damit für unsere Zukunft maßgeblich sein.“
IG Metall sieht Abbaupläne als „eine Kampfansage an die Belegschaft“
Jürgen Kerner, zweiter Vorsitzender der IG Metall und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Thyssenkrupp AG, hat umgehend auf den Paukenschlag mit den Abbauplänen bei Thyssenkrupp Steel Europe (tkSE) reagiert:
„Schon vor Monaten haben wir davor gewarnt, dass bei tkSE zehntausend Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, sollte sich das Konzernmanagement mit seinen Vorstellungen durchsetzen. Heute ist klargeworden: Die gleichen Leute, die uns deshalb noch vor kurzem Panikmache vorgeworfen haben, wollen nun genau dies umsetzen – und Schlimmeres. Mehr als zehntausend Arbeitsplätze sollen wegfallen, ein Werk soll geschlossen werden, die Beschäftigten sollen dauerhaft auf zehn Prozent ihres Entgelts verzichten. Die IG Metall und die Betriebsräte machen sich keine Illusionen über den Ernst der Lage. Noch nie haben wir uns einer konstruktiven Lösung verschlossen und sind dafür oft einen weiten Weg gegangen. Das wird auch in Zukunft so bleiben. Was der Vorstand heute vorgelegt hat, ist allerdings keine Verhandlungsgrundlage, das ist eine Kampfansage an die Belegschaft. Wir erwarten klare Aussagen zum Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und zum Erhalt aller Standorte. Was es jetzt braucht, ist ein mutiger Plan nach vorn, keinen fantasielosen Kahlschlag.“
Foto: Thyssenkrupp Steel Europe