Die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid, landläufig auch als „Carbon Capture and Storage“ (CCS) bezeichnet, soll als Technologie und wachsender Wirtschaftszweig zur Erreichung der Klimaziele beitragen. Einzelnen Sektoren der Schwerindustrie, die ihre Produktionsprozesse auf absehbare Zeit nicht elektrifizieren können und wegen mangelnder Verfügbarkeit auch nicht auf Wasserstoff setzen können, bietet CCS die möglicherweise einzige Möglichkeit, den Geschäftsbetrieb im Einklang mit den Klimazielen aufrechtzuerhalten. In Deutschland schließt allerdings die Rechtslage eine industrielle Nutzung der Technologie bislang aus. Eine geplante Gesetzesnovelle lief durch das Zerbrechen der Ampelregierung ins Leere. Über Stand und Perspektiven der CCS-Regulierung sprach die Redaktion mit dem Rechtsexperten Dr. Maximilian Boemke.
Der Artikel stammt aus der Ausgabe 12/24 von stahl + eisen. Der volle Titel dort: „Der Gesetzentwurf hat einige richtige Akzente gesetzt“ – Interview mit Rechtsanwalt Dr. Maximilian Boemke zum Stand der CCS-Regulierung. Die Fragen stellte Torsten Paßmann, Chefredakteur von stahl + eisen.
stahl + eisen: Herr Boemke, für die energieintensive deutsche Stahlindustrie könnte CCS eine Option zur Erreichung der Klimaziele darstellen. Allerdings fehlt dafür bisher der regulatorische Rahmen. Wie beurteilen Sie die Situation?
Maximilian Boemke: Generell gilt CCS für Industriezweige, die auf absehbare Zeit nicht vollständig auf CO2-Emissionen verzichten können, als Hoffnungsträger. Zahlreiche europäische Staaten betreiben oder planen bereits geologische Speicheranlagen, und die USA fördern die Nutzung von CCS durch den Inflation Reduction Act. Auch die Europäische Kommission treibt die europaweite Anwendung dieser Technologie unter anderem durch den Net Zero Industry Act voran.
Hierzulande stand man der CCS-Technologie lange kritisch gegenüber, was sich in der aktuellen Regulierung spiegelt: Das rund zwölf Jahre alte Kohlendioxidspeicherungsgesetz, kurz KSpG, lässt bisher lediglich die „Demonstration“ einer dauerhaften CO2-Abscheidung und -Speicherung zu; deshalb existieren bisher lediglich ein paar wenige Pilotanlagen. Ein industrieller Einsatz der Technologie war und ist unter diesem Rechtsrahmen praktisch unmöglich. Die Ampelregierung wollte durch eine Gesetzesänderung, kombiniert mit einer langfristigen Kohlenstoffmanagementstrategie, das Potenzial dieser Technologie heben. Der Bundestag hat noch im September über diesen Entwurf beraten, der allerdings aufgrund der politischen Entwicklungen – leider – obsolet geworden ist.
Potenzial zum Nachbessern bei neuer CCS-Regulierung
stahl + eisen: Welche Punkte müsste die kommende Regierung aus Ihrer Sicht anpacken?
Boemke: Der existierende Gesetzentwurf hat durchaus einige richtige Akzente gesetzt. Entscheidend war zunächst einmal die Erlaubnis, unter bestimmten Voraussetzungen CO2-Speicher überhaupt im industriellen Maßstab kommerziell zu nutzen. Außerdem zielte die Novelle auf den raschen Aufbau einer passenden Infrastruktur, unter anderem durch beschleunigte Genehmigungsverfahren und die Möglichkeit, Erdgasleitungen umzuwidmen. Damit wollte man die rechtlichen Unsicherheiten beseitigen, die derzeit mit dem Transport von CO2 verbunden sind. Ein weiterer wichtiger Punkt war die Angleichung des Rechtsrahmens für CCS und CCU, also die Kohlenstoffabscheidung zur Speicherung und zur Nutzung.
stahl + eisen: Sehen Sie bei dem bisherigen Entwurf auch Potenzial zum Nachbessern?
Boemke: Ja, denn neben den richtigen Akzenten gab es auf der anderen Seite Schwachpunkte, die ein neuer gesetzgeberischer Vorstoß adressieren sollte. Aus Sicht der Industrie wäre insbesondere die Frage zu klären, ob auch Nutzer fossiler Einsatzstoffe auf CCS-Speicher und -Infrastruktur zugreifen können. Das war im bisherigen Entwurf nicht vorgesehen, was das Einsatzpotenzial der Technologie und damit auch die Nachhaltigkeitswirkung gerade in der Schwerindustrie erheblich beschneiden würde. Im internationalen Kontext haben Unternehmen großes Interesse daran, dass ein grenzüberschreitender Transport von CO2 zur CCS-Nutzung ermöglicht und rechtssicher geregelt wird.
stahl + eisen: Nehmen wir einmal an, die nächste Regierung bringt ein entsprechendes Gesetz durch. Wie schnell könnte die Stahlindustrie als einer der großen Emittenten von CO2-Emissionen von Änderungen der Rechtslage profitieren, um zeitnah die eigenen Werte zu senken?
Boemke: Da hilft eigentlich nur der Blick in die sprichwörtliche Glaskugel, den ich aber gerne einmal versuchen will. Berücksichtigt man neben den regulatorischen Änderungen auch die betrieblichen Anpassungen, die erforderlich werden, um eine CCS-Technologie im Betrieb zu implementieren, rechne ich mit einem Zeitraum von etwa drei bis fünf Jahren nach Inkrafttreten eines entsprechenden Gesetzes.
Private Investoren, Infrastrukturprojekte und die Stahlbranche
stahl + eisen: Die Umstellung auf eine klimafreundliche Stahlerzeugung ist kostenintensiv, unabhängig vom gewählten Weg. Mit welchen Kosten müsste man rechnen, wenn man kurzfristig auch auf CCU und CCS setzen würde?
Boemke: Das können die Fachleute in den Unternehmen besser abschätzen als ich in meiner Funktion als Rechtsanwalt. Sicher scheint mir, dass sie über die Investitionskosten für die eigentliche CCS-Technologie hinaus auch Spezialisten benötigen, die sich um den betriebswirtschaftlichen und technischen Rahmen kümmern. Das heißt, hier werden auch Beratungs- und Personalkosten anfallen.
stahl + eisen: Insbesondere der Aufbau der erforderlichen Infrastruktur benötigt umfangreiche private Investitionen. Welche Möglichkeiten sehen Sie diesbezüglich?
Boemke: Zahlreiche private Investoren suchen nach Möglichkeiten, sich an Infrastrukturprojekten zu beteiligen. Wir werden immer wieder von Mandanten darauf angesprochen, ob uns entsprechende Möglichkeiten bekannt sind. Hier kann gerade die Stahlbranche mit ihren vielen erfolgreichen Unternehmen eine Stärke ausspielen. Was die CCS-Technologie für Anleger zusätzlich besonders interessant macht, ist ihre „ESG-Tauglichkeit“ – ein Aspekt, der Investitionsentscheidungen immer stärker beeinflusst. Sicherlich könnten auch gesetzliche Förderprogramme eine gewisse Rolle spielen. Da aber auch der neuen Bundesregierung nur begrenzte Mittel zur Verfügung stehen, würde ich darauf keine allzu großen Hoffnungen setzen. Stattdessen liegt die Antwort meines Erachtens vor allem im Bereich privater Investoren. Investitionsmodelle werden sich unter Mithilfe von Banken und Beratern finden lassen und entwickeln – da bin ich zuversichtlich.
stahl + eisen: Vielen Dank für den Austausch, Herr Dr. Boemke.
Zum Gesprächspartner
Rechtsanwalt Dr. Maximilian Boemke ist Partner im Segment Regulierung, öffentliches Recht und Wettbewerb im Hamburger Büro der internationalen Anwaltskanzlei Watson, Farley & Williams. Seine Schwerpunkte liegen auf dem Energiesektor und angrenzenden Bereichen wie Umwelt-, Wasserschutz- und Bergbaurecht.
Foto: Andrzej Rostek/Shutterstock.com, Watson, Farley & Williams (eigene Darstellung)