Generative KI, abgekürzt oft auch GenAI, ist längst keine Zukunftsmusik mehr – das stellt Timm Rotter, Experte für KI-Integration im Mittelstand, gleich zu Beginn des Interviews klar. Doch während die Technologie enorme Potenziale für Effizienzsteigerungen und Innovation bietet, bleibt sie in vielen Unternehmen noch ungenutzt. Im Gespräch mit Stahlmarkt erklärt Rotter, wie Mittelständler die richtigen Anwendungsfälle identifizieren, welche Chancen sich speziell in schlanken Strukturen bieten und warum jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um in Generative KI zu investieren.
Der Beitrag erscheint in Ausgabe 1-2/25 von Stahlmarkt mit einem Schwerpunkt auf Digitalisierung. Interviewpartner ist Timm Rotter, Gründer und Geschäftsführer der Kommunikationsagentur In A Nutshell sowie der KI-Beratung disruptive.
Stahlmarkt: Bei vielen Entscheidern weicht die Begeisterung um Generative KI Ernüchterung: ChatGPT und andere Tools seien ja ganz nett. Aber produktiv, sodass es sich wirtschaftlich lohnt, ließen sich die Zukunftstechnologien noch nicht nutzen, hören wir inzwischen oft. Woran liegt es?
Timm Rotter: Zunächst: GenAI ist keine Zukunftstechnologie. Wer sie sich für die Zukunft aufhebt, der wird in der Gegenwart scheitern – denn viele GenAI-Anwendungen sind so ausgereift, dass sie einen echten wirtschaftlichen Hebel darstellen. Aber Sie haben recht: Während es sehr einfach ist, mit GenAI-Lösungen zu starten, wird es beim produktiven Einsatz schnell komplex. Gerade im Mittelstand bleibt das Potenzial oft ungenutzt, da es an zwei Dingen fehlt: Strategien und Know-how.
Stahlmarkt: Wie komme ich als Unternehmer zur richtigen GenAI-Strategie?
Rotter: Indem Sie die Tools erst mal vergessen. Wenn wir Kunden bei der GenAI-Integration beraten, stellen wir drei Fragen: Erstens: In welchen Bereichen gibt es einen hohen Workload mit repetitiven sprach- oder datenbasierten Tätigkeiten? Denn hier ist GenAI am stärksten. Zweitens: Ist die Datenbasis so gut, dass KI damit lernen und arbeiten kann? Wenn Sie nur mit allgemeinen Daten arbeiten, liefern ChatGPT & Co auch nur Allgemeinplätze. Drittens: Ist GenAI wirklich die beste Lösung? Denn es gibt Bereiche, etwa wenn extreme Präzision verlangt ist oder IT-Prozesse komplex sind, wo GenAI an Grenzen stößt oder unwirtschaftlich wäre. Unternehmen, die diesen drei Fragen folgen, finden KI-Cases mit Impact.
„Generative KI bietet überall Chancen, wo viel mit Sprache gearbeitet wird.“
Stahlmarkt: Sie sprachen eingangs vom Mittelstand. Wo sehen Sie Chancen für generative KI speziell in diesem Bereich?
Rotter: Viele Mittelständler sind personell eher schlank aufgestellt, gerade in Service-Funktionen wie Personal, Kommunikation, Kundenbetreuung, Ein- und Verkauf oder Office Management – wo viel mit Sprache gearbeitet wird. Überall hier bietet GenAI Chancen, sei es durch Effizienzsteigerungen, neue Impulse oder Entlastung bei Personalengpässen. Nehmen wir die Textarbeit: Generative KI kann Routinen wie die Erstellung von Produktbeschreibungen, Kundenbriefen oder Social-Media-Posts übernehmen – schneller und oft besser als wir Menschen. Auch bei der Recherche spart KI Zeit: Statt stundenlang Daten aus verschiedenen Quellen zusammenzusuchen, liefern Tools wie ChatGPT, Copilot oder Google Gemini mit wenigen Klicks strukturierte Informationen.
Stahlmarkt: Was ist in Ein- und Verkauf möglich?
Rotter: GenAI ist, auch hier, ein Assistent, der uns zuarbeitet. Ein Industriekunde von uns hat zum Beispiel die Angebotserstellung mit GenAI massiv beschleunigt. Während ein Angebot früher ein bis zwei Stunden in Anspruch nahm, übernimmt KI jetzt die Zusammenstellung der Texte und Kalkulationen in Minuten. Die Mitarbeitenden kontrollieren das Ergebnis nur noch – der gesamte Prozess läuft effizienter und mit weniger Fehlern. Kostenersparnis: 75 Prozent.

In zwei, drei Jahren wird Generative Künstliche Intelligenz in Unternehmen mutmaßlich so normal sein wie schneller Internetzugriff. Wer jetzt investiert, sichert Marktanteile ab und positioniert sich als attraktiver Arbeitgeber, mein Experte Timm Rotter.
Stahlmarkt: Welche Anwendungen gibt es, gerade für Mittelständler, die über Textarbeit hinausgehen?
Rotter: Diverse. Mit KI-generierten Avataren können sie zum Beispiel Schulungsvideos erstellen, die kaum mehr von Aufnahmen mit echten Menschen zu unterscheiden sind. Solche Videos lassen sich bis zu zehnmal schneller produzieren als klassische Filmprojekte – und das zu einem Bruchteil der Kosten. Ein enormer Vorteil für Firmen, die ihre Mitarbeiter regelmäßig fortbilden oder Kundenanleitungen mehrsprachig anbieten wollen.
Stahlmarkt: Warum scheitern Unternehmen aber immer noch so häufig beim KI-Einsatz?
Rotter: Am Interesse fehlt es zumindest nicht: Laut einer Studie, die wir im Sommer zum KI-Reifegrad in deutschen Unternehmen gemacht haben, haben über 85 Prozent der Mitarbeitenden bereits Text- oder Sprach-KI eingesetzt. Jetzt wäre es an den Firmen, das Interesse in professionelle Nutzung zu überführen. Aber genau hier hakt: Mehr als die Hälfte hat keine klaren Guidelines für den Umgang mit Generativer KI, hat unsere Studie gezeigt, und weniger als ein Drittel investiert in KI-Weiterbildung.
„In zwei, drei Jahren wird GenAI-Integration kein besonderes Feature mehr sein, sondern Standard wie heute Internetzugriff.“
Stahlmarkt: Sie haben die Effizienzgewinne durch Generative KI skizziert, aber auch häufig die knappe Personalausstattung in vielen Abteilungen. Wo bzw. wie sollen Unternehmen die Ressourcen finden, das Personal zeitintensiv für ChatGPT-Kurse abzustellen?
Rotter: Präsenzkurse oder Live-Meetings, bei denen alle das gleiche lernen, sind auch nicht die alleinige Lösung. Sie helfen, Berührungsängste ab- und Motivation aufzubauen. Langfristig aber sind sie zu aufwändig und ineffizient, weil die Lernbedürfnisse zu unterschiedlich sind. Es braucht Formate, bei denen die Menschen das lernen, was für ihren Job wichtig ist, und zwar dann, wenn sie Zeit dafür haben. Genau deswegen haben wir mit unserer disruptive KI-Akademie auch eine digitale Lernplattform geschaffen. Das ist meines Wissens die erste, die wirklich auf die Bedürfnisse des Mittelstands zugeschnitten ist.
Stahlmarkt: Können Sie kurz erläutern, was das in der Praxis bedeutet?
Rotter: Wir haben seit 2023 mehr als 150 KI-Workshops bei Unternehmen, vor allem Mittelständlern, gegeben. Zudem arbeiten bei uns selbst 50 Menschen jeden Tag mit GenAI. Daher wissen wir, was wirkt. Wir verkaufen auch nicht nur eine Lernplattform, sondern erarbeiten mit den Kunden in Schritt eins erst einmal, was sie wirklich brauchen. Die Selbstlernkurse schneiden wir dann entsprechend der Funktionen zu – von Personal bis Vertrieb – und decken alle Wissensstände ab. Außerdem legen wir großen Wert auf Praxisnähe entlang konkreter Anwendungen aus dem Unternehmen und haben die Kurse so kompakt und modular aufgebaut, dass man sie einfach in den Alltag integrieren kann.
Stahlmarkt: Zum Abschluss noch einmal ein konkreter Ausblick: Was passiert, wenn Unternehmen ihre Mitarbeiter nicht weiterbilden?
Rotter: Das ist keine Option: Der „AI Act“, das KI-Gesetz der EU, schreibt ja sogar eine Ausbildungspflicht für Firmen vor – und das bereits ab 2025/2026. Abgesehen davon: In zwei, drei Jahren wird GenAI-Integration kein besonderes Feature mehr sein, sondern Standard wie heute Internetzugriff. Wer nicht investiert, verliert Marktanteile – und auch Talente. Gerade junge Fachkräfte möchten in Firmen arbeiten, die technologisch auf der Höhe der Zeit sind und eine innovationsfreundliche Kultur haben. Das Gute ist: Mittelständler, die jetzt mit GenAI starten, sind immer noch einigermaßen früh dran, und können sich Vorteile im Wettbewerb sichern.
Stahlmarkt: Vielen Dank für das Interview, Herr Rotter!
Hintergrund: Akademie für KI-Ausbildung
Die KI-Akademie der Beratungsfirma disruptive ist eine digitale Lernplattform, die individuelle und praxisorientierte GenAI-Ausbildungen in Unternehmen ermöglicht. Modulare, kompakte Selbstlernkurse erlauben effizientes Lernen im beruflichen Alltag. Quiz-Elemente, interaktive Tests und Live-Sessions im Team sollen die Motivation hochhalten. Die Plattform ist mehrsprachig, DSGVO-konform und auf jedem Device verfügbar – vom Handy bis zum PC. Mehr Informationen unter disruptive-akademie.de.
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