Das Modell der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg zielt darauf ab, in allen Situationen einen konstruktiven Dialog zu ermöglichen. Diese Art von Kommunikation basiert auf Empathie, Verständnis und gegenseitigem Respekt. Das kann die interne Kommunikation deutlich verbessern.
Der Beitrag erschien in Ausgabe 11/24 von stahl + eisen. Autor Dr. Patrick Peters ist Professor für PR, Kommunikation und Digitale Medien sowie Prorektor der Allensbach Hochschule Konstanz, Berater und Trainer für Kommunikation sowie wissenschaftlicher Publizist. Mehr unter www.pp-text.de.
Interne Kommunikation bezieht sich bekanntlich auf den Austausch von Informationen, Ideen und Botschaften innerhalb eines Unternehmens. Sie umfasst alle Kommunikationswege, die dazu beitragen, dass Mitarbeiter informiert, eingebunden und motiviert bleiben. Diese Kommunikation kann in verschiedenen Formen erfolgen, einschließlich schriftlicher Mitteilungen, Meetings, digitaler Plattformen und persönlicher Gespräche. Interne Kommunikation ist dabei nicht nur ein Mittel zur Informationsverteilung, sondern auch ein Instrument zur Förderung der Unternehmenskultur und der Zusammenarbeit zwischen Abteilungen. Unternehmen mit starker interner Kommunikation erleben häufig eine bessere Zusammenarbeit, geringere Fehlerraten und eine gesteigerte Produktivität. In der Industrie, wo präzise und zeitnahe Kommunikation entscheidend ist, kann eine gut strukturierte interne Kommunikation den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmachen.
Konfliktverschärfende Kommunikation kann Vertrauen beeinträchtigen
Das Problem: Es kommt immer wieder vor, dass Mitarbeiter oder Abteilungen aneinandergeraten, etwa dann, wenn es um die Verteilung von Ressourcen, Verantwortlichkeiten oder Anerkennung geht. Ein typisches Beispiel ist die Kommunikation zwischen der Produktionsabteilung und der Qualitätssicherung. Wenn ein Qualitätsproblem auftritt, könnte die Produktionsabteilung defensiv reagieren, um ihre Position zu schützen. Die Qualitätssicherung wiederum könnte dies als Angriff auf ihre Kompetenz interpretieren und entsprechend scharf zurückschlagen. Diese Form der Kommunikation verschärft den Konflikt, da beide Seiten in eine Abwehrhaltung gehen, die zu Vorwürfen, Schuldzuweisungen und letztlich zu einer Eskalation führt. Das Ergebnis ist ein vergiftetes Arbeitsklima, das Produktivität, Vertrauen und Zusammenarbeit nachhaltig beeinträchtigt.
Kommunikation soll Erfüllung von Bedürfnissen ermöglichen
Aus diesem Grund ist es wichtig, ein Kommunikationssystem zu implementieren, das die konfliktverschärfenden Kommunikationsmuster durchbricht und einen konstruktiven Dialog ermöglicht. Dieses neu im Unternehmen eingeführte System basiert auf Empathie, Verständnis und gegenseitigem Respekt und nennt sich Gewaltfreie Kommunikation. Die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) ist ein Kommunikationsmodell, das von dem amerikanischen Psychologen Marshall B. Rosenberg in den 1960er Jahren entwickelt wurde. Die Methode basiert auf der Idee, dass alle menschlichen Handlungen auf der Erfüllung von Bedürfnissen beruhen und dass Konflikte entstehen, wenn diese Bedürfnisse missverstanden oder ignoriert werden.
Rosenberg entwickelte GFK als Reaktion auf seine Erfahrungen mit sozialen Ungerechtigkeiten und Gewalt, die er in seiner Kindheit und später als Erwachsener beobachtete. Ziel der GFK ist es, eine empathische, respektvolle und verbindende Kommunikation zu fördern, indem Menschen lernen, ihre Beobachtungen, Gefühle, Bedürfnisse und Bitten klar und ohne Schuldzuweisungen auszudrücken. Daher wird dieses Modell heute weltweit in verschiedenen Bereichen wie Bildung, Mediation, Therapie und Unternehmenskommunikation eingesetzt, um Konflikte zu lösen und eine tiefere menschliche Verbindung zu fördern.
Hilfe, die Perspektive des anderen zu verstehen
Die Gewaltfreie Kommunikation baut auf vier zentralen Schritten auf. Dies ermöglicht es den Beteiligten, die Perspektive des anderen zu verstehen und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Die Schritte müssen in dem Prozess zwingend in der Reihenfolge durchgeführt werden, wenn man Gewaltfreie Kommunikation konsequent praktizieren will, um Konflikte konstruktiv zu lösen, die Zusammenarbeit zu stärken und die Effizienz zu steigern:
- Beobachtung: Statt Urteile zu fällen oder Vorwürfe zu machen, beschreibt jede Partei die Situation objektiv und wertfrei.
- Gefühle: Beide Seiten äußern offen ihre Gefühle, die durch die Situation hervorgerufen wurden, ohne den anderen zu beschuldigen.
- Bedürfnisse: Es wird geklärt, welche Bedürfnisse hinter den Gefühlen stehen, um ein tieferes Verständnis füreinander zu entwickeln.
- Bitten: Schließlich formulieren beide Seiten konkrete Bitten, wie die Situation verbessert oder der Konflikt gelöst werden kann, ohne Forderungen zu stellen.
Mittel gegen die Ausweitung eines Konflikts
Man stelle sich nun in einem Industrieunternehmen einen Konflikt zwischen Produktionsleiter und Qualitätsmanager vor. Der Qualitätsmanager hat eine Charge von Produkten zurückgewiesen, weil sie nicht den Spezifikationen entsprechen. Der Produktionsleiter fühlt sich angegriffen und kritisiert den Qualitätsmanager dafür, die Produktion unnötig zu behindern. Dies kann, bei konfliktverschärfender, vorwurfsvoller Kommunikation, schnell zu einem echten Problem werden, das sich negativ auf die Performance des Unternehmens auswirken kann. Die GFK verhindert die Ausweitung des Konflikts und sorgt für ein neues Miteinander, indem beide Parteien ihre Perspektiven klar kommunizieren und gemeinsam nach einer Lösung suchen, die die Bedürfnisse beider Seiten berücksichtigt. Aus Sicht des Produktionsleiters führt das zu folgender Kommunikation:
- Beobachtung: „Ich sehe, dass die letzte Charge von Produkten zurückgewiesen wurde.“
- Gefühle: „Das hat mich frustriert, weil ich das Gefühl habe, dass unsere Produktion verzögert wird.“
- Bedürfnisse: „Mir ist es wichtig, dass wir effizient arbeiten und die Produktionsziele erreichen.“
- Bitte: „Können wir gemeinsam schauen, wie wir die Qualitätsanforderungen erfüllen und gleichzeitig die Produktion reibungslos gestalten können?“
Führungskräfte haben eine besondere Verantwortung
Die GFK stärkt somit die interne Kommunikation, indem sie eine Kultur des Respekts, der Empathie und der Klarheit fördert. Unternehmen profitieren von einer verbesserten Zusammenarbeit, reduzierten Konflikten und einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit, was letztlich die Effizienz und Produktivität steigert. Um diesen Mechanismus zu etablieren, müssen Unternehmen in Schulungen und kontinuierliche Unterstützung investieren, damit alle Mitarbeiter die Prinzipien der GFK verstehen und anwenden können. Diese Schulungen können durch regelmäßige Auffrischungen und Diskussionen begleitet werden, um die GFK dauerhaft in die Unternehmenskultur zu integrieren. Die Teilnehmer reflektieren dabei ihre Erfahrungen, erhalten Feedback und diskutieren Herausforderungen bei der Anwendung von GFK.
Darüber hinaus sollte die GFK als fester Bestandteil der Unternehmenskultur verankert und durch Führungskräfte vorgelebt werden. Nur wenn Führungskräfte die Prinzipien der Gewaltfreien Kommunikation selbst praktizieren, setzen sie ein positives Beispiel und schaffen eine Atmosphäre des Vertrauens und der Offenheit. Ihre Vorbildfunktion ermutigt Mitarbeiter, ebenfalls auf respektvolle und empathische Weise zu kommunizieren. Zudem ermöglicht die Anwendung der GFK durch Führungskräfte eine bessere Konfliktlösung und Entscheidungsfindung, was die Zusammenarbeit im gesamten Unternehmen stärkt und die Zufriedenheit sowie das Engagement der Mitarbeiter erhöht.
Checkliste zur Implementierung gewaltfreier Kommunikation
- Bewusstsein schaffen: Führungskräfte und Mitarbeiter über die Grundlagen und Vorteile der GFK informieren und GFK-Prinzipien durch Workshops und Schulungen einführen
- Schulungen organisieren: Regelmäßige GFK-Trainings mit Rollenspielen und praktischen Übungen für alle Mitarbeiter planen
- Vorbildfunktion der Führungskräfte: Führungskräfte als Vorbilder in der GFK-Praxis etablieren und GFK fest in Führungskräfteentwicklungsprogrammen einbinden
- Kommunikationskultur stärken: GFK in der Unternehmenskultur und im Alltag integrieren und regelmäßige Feedback-Runden zur Reflexion der GFK-Praxis etablieren
- Kontinuierliche Unterstützung: Mentoren oder GFK-Coaches zur Verfügung stellen, regelmäßige Auffrischungskurse und Diskussionsrunden anbieten
- Erfolgsmessung: Indikatoren für die Wirksamkeit der GFK in der internen Kommunikation festlegen, Fortschritte durch Umfragen und Mitarbeitergespräche evaluieren
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Marshall B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens. Paderborn: Junfermann Verlag, 2003. ISBN 978-3-95571-572-4, 224 Seiten, 26 Euro
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