Für ein exklusives Interview mit stahl + eisen standen Dirk Howe und Dr. Georg Geier, die Geschäftsführer der Siempelkamp Giesserei, gerne Rede und Antwort. Im Austausch mit mit Chefredakteur Torsten Paßmann sprachen die beiden über den Wert tarifgebundener Industriearbeit, energiepolitische Fehlanreize, die Rolle des Mittelstands in der Transformation und den digitalen Neustart des Unternehmens im Schmelzbetrieb. Auf der einen Seite sind sie positiv gestimmt, denn aus ihrer Sicht sind dichte industrielle Wertschöpfungsketten in Deutschland weitehrin möglich, auch wenn sie unter Druck geraten. Von daher ist ihr Appell an die Politik eindeutig: Wer die Transformation ernst nimmt, darf die industriellen Vorreiter nicht im Stich lassen.
Der Beitrag stammt aus Ausgabe 7–8/25 von stahl + eisen und läuft dort auf den (Seite 30–35). Bei der Online-Fassung handelt es sich um einen Auszug.
stahl + eisen: Was macht das deutsche Industrie-Modell für Sie so besonders – und so gefährdet?
Dr. Georg Geier: Unser Geschäftsmodell lebt von dichten, ineinandergreifenden Wertschöpfungsketten. Wir können hierzulande fast alles herstellen. Nicht immer am billigsten, aber mit einer einzigartigen Verbindung aus Fertigung, Verarbeitung und Engineering. Das ermöglicht schnelle Innovationszyklen. Ein Gießer entwickelt einen neuen Werkstoff und kann sofort zum Kunden gehen, um vor Ort in derselben Sprache zu kommunizieren. Umgekehrt kann der Maschinenbauer mit einer Idee direkt prüfen, ob sie umsetzbar ist. Und genau da entstehen oft die besten Ideen: bei Branchentreffen oder beim lockeren Gespräch. Wenn wir diese Strukturen immer weiter aushöhlen, verlieren wir genau das, was unseren Maschinenbau erfolgreich gemacht hat: die Fähigkeit, Innovationen schnell auf den Markt zu bringen.
„Die industrielle Basis ist das Fundament unseres Wohlstands“
stahl + eisen: Was passiert, wenn diese Zusammenarbeit unterbrochen wird?
Dirk Howe: Der technologische Bruch hat konkrete Folgen. In China stellt man sich längst nicht mehr die Frage, ob man nur Gussteile liefern will. Dort werden zunehmend auch komplette Maschinen gebaut. Das ist bereits heute in einzelnen Segmenten der Fall. Wenn wir diese Entwicklung einfach hinnehmen, geben wir Stück für Stück unsere industrielle Souveränität auf. Zudem darf man nicht vergessen: Es geht nicht nur um Technologie, sondern auch um Standortbindung. Strukturbauteile aus Asien müssen mit allen ökologischen und logistischen Folgen Tausende Kilometer transportiert werden. Selbst wenn man den CO₂-Faktor ignoriert, bleibt das größere Problem bestehen: Der Austausch vor Ort und das enge Zusammenspiel von Gießerei und Maschinenbau lassen sich durch keine Lieferbeziehung ersetzen.
stahl + eisen: Was folgt daraus für den Industriestandort Deutschland?
Howe: Ohne tragfähiges Alternativmodell bleibt nur der Weg, unsere Stärken weiterzuentwickeln: Technologie, Innovation und Pioniergeist. Das hat uns als Land stark gemacht. Diese industrielle Basis ist das Fundament unseres Wohlstands, und der ist konkret messbar. Bei uns arbeiten 400 Menschen mit tarifgebundenen Löhnen, Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie Gewinnbeteiligung. Das sind nicht nur Fachkräfte, sondern auch Beitragszahler, Konsumenten und tragende Säulen unserer Gesellschaft.
„Wer mit Strom arbeitet, hat aktuell ein echtes Problem“
stahl + eisen: Um die industrielle Basis zu erhalten, braucht es aber auch wettbewerbsfähige Strompreise. Wie hat sich aus Ihrer Sicht die Energiepreiskrise entwickelt, Herr Dr. Geier?
Geier: Üblicherweise sehen wir im Jahresverlauf eine Badewannenkurve: teurer Winter, günstiger Sommer. Doch 2021 war alles anders. Bereits im Juni zeichnete sich eine massive Preisverschiebung ab, ab September explodierten die Kosten. Im Dezember lagen wir bei 400 Euro pro Megawattstunde. Das ist das Zehnfache des langjährigen Durchschnitts.
stahl + eisen: Ist die aktuelle Situation inzwischen wieder auf Normalniveau?
Geier: Keineswegs. Die Preise liegen noch immer sehr hoch. Im ersten Quartal 2025 zahlten wir über 110 Euro pro Megawattstunde. Das ist fast das Dreifache des Vorkrisenniveaus. Gleichzeitig haben sich die Netzentgelte seit 2019 nahezu verdoppelt. Das belastet besonders die energieintensive Industrie.
stahl + eisen: Was bedeutet das für strombasierte Industrieprozesse, wie sie etwa auch in Gießereien üblich sind?
Geier: Die Industrie, die mit Strom arbeitet – Elektrostahlwerke mit Lichtbogenöfen und Gießereien mit Induktionsöfen –, hat aktuell ein echtes Problem. Während Hochofenrouten im Rahmen der klimafreundlichen Transformation vielfach gefördert werden, sind strombasierte Verfahren aus der Förderung faktisch herausgefallen. Dabei wären genau diese Unternehmen die Vorreiter für eine CO₂-arme Produktion. Das ist ein massives Ungleichgewicht.
„Hilfe geht an den eigentlichen Zielgruppen vorbei“
stahl + eisen: Warum werden dennoch mögliche staatliche Hilfen von vielen Unternehmen trotzdem nicht abgerufen?
Geier: Die Programme sind oft so komplex, dass Mittelständler sie kaum nutzen können. Die Bedingungen sind realitätsfern und aus Angst vor Missbrauch überreguliert. Beim Energiekosten-Dämpfungsprogramm wurde nur ein Bruchteil der Mittel ausgeschöpft, weil die Anforderungen praktisch nicht erfüllbar waren. So geht Hilfe an den eigentlichen Zielgruppen vorbei.
stahl + eisen: Was steht aus Ihrer Sicht auf dem Spiel, wenn energieintensive Branchen wie die Ihre abwandern?
Howe: Da geht es um sehr viel. Nicht nur um Wertschöpfung, sondern um tarifgebundene, gut bezahlte Arbeitsplätze. Und wir sind überzeugt davon, dass wir diese Arbeitsplätze auch unter den neuen energie- und klimapolitischen Rahmenbedingungen in Deutschland erhalten können. Aber dann muss die Politik eben die richtigen Entscheidungen treffen. Es bringt nichts, wenn wir hierzulande die emissionsärmsten Gießereien weltweit betreiben, aber dabei wirtschaftlich nicht überleben können. Das wäre dann ein kommerzieller Suizid.
Exklusives Interview mit weiteren Inhalten
Ihr exklusives Interview ging inhaltlich noch viel weiter. Im weiteren Verlauf sprachen Dirk Howe und Dr. Georg Geier unter anderem noch über die soziale Dimension möglicher Standortverlagerungen, wachsende bürokratische Belastungen, ihre Digitalstrategie im Schmelzbetrieb sowie Hindernisse auf dem Weg zur klimafreundlichen Produktion. Dabei wird klar: Die Geschäftsführer der Siempelkamp Giesserei setzen auf konkrete technische Lösungen – stoßen aber immer wieder an strukturelle Grenzen. Ihr Appell an die Politik: Wer Transformation will, muss den Mittelstand ernst nehmen und verlässlich einbinden. Bei der NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur ist dieser Appell offensichtlich auf fruchtbaren Boden gefallen, verschaffte sie sich doch Anfang Juli selbst einen Eindruck vor Ort.
Foto: Dr. Kai-Nils Eicke