Automatisierte Maschinen, digitale Assistenzsysteme und KI schaffen neue Freiräume in der Produktion. Trotz Fachkräftemangel bleibt der Mensch unverzichtbar – Assistenzsysteme helfen, komplexe Aufgaben effizient und sicher zu bewältigen.
Automatisierte und vernetzte Maschinen, digitalisierte Prozessketten, autonome Transportsysteme: Beinahe vermitteln die Trends der EMO Hannover 2025 (siehe dazu auch die Innovation Stage) den Eindruck, dass sich der Mensch in den Produktionshallen gerade überflüssig macht. Dem widersprechen allerdings Experten aus Wissenschaft und Industrie. Zwar diene die Technik auch dazu, mit weniger Beschäftigten produzieren zu können, was in Zeiten des Fachkräftemangels existenziell sei. Der Mensch bleibe jedoch unverzichtbar, heißt es, um in komplexen Situationen den Überblick zu behalten und eingreifen zu können. Damit ihm das möglichst leichtfällt und sicher gelingt, helfen Assistenzsysteme und neuerdings Künstliche Intelligenz. Die Attraktivität von Jobs in der Produktion könnte dadurch steigen.
Der Fachkräftemangel bremst gegenwärtig viele Unternehmen aus, weltweit. Nach Erhebungen des Münchner ifo-Instituts klagt allein in Deutschland fast jedes dritte Unternehmen darüber, dass es nicht genug Fachkräfte findet. Die Gründe sind vielschichtig und nicht nur am demografischen Wandel festzumachen. „Oft fehlt nicht nur Personal, sondern Effizienz“, stellt Michael Daniel, CEO der Datron AG, Ober-Ramstadt/Hessen, fest und betont: „Als Maschinenbauer sehen wir uns in der Verantwortung, genau hier Lösungen anzubieten.“ Moderne Maschinen, Automatisierung und digitale Assistenzsysteme ermöglichen es laut Daniel, mit weniger Personal mehr zu erreichen – und das bei gleichzeitig höherer Qualität und geringerer Belastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Schritt für Schritt durch den Prozess
Bei Datron bedeutet dies vor allem, dass Maschinen immer smarter werden, durch adaptive Regelung, integrierte Sensorik und intuitive Bedienoberflächen. So könnten auch weniger erfahrene Bediener hochpräzise Ergebnisse erzielen. Gleichzeitig setzt das Unternehmen auf Assistenzfunktionen, die Schritt für Schritt durch Prozesse führen, Fehler vermeiden helfen und den Schulungsaufwand senken. Ein weiterer Fokus liegt auf der Digitalisierung des Workflows, so der Datron-Chef. Von der CAM-Programmierung bis zur Maschinenrückmeldung entstehe so ein durchgängiger Datenfluss, der Transparenz schafft und Optimierungspotenziale aufzeigt – etwa bei Rüstzeiten, Energieverbrauch oder Wartungszyklus. „Wir setzen auf Technologie, die sich am Nutzer orientiert, nicht nur um der Technik willen, sondern um echte Entlastung und Effizienz zu schaffen“, so Michael Daniel.
Mit den technischen Möglichkeiten, Menschen bei ihrer Arbeit in der Produktion bestmöglich zu unterstützen, beschäftigt sich auch Dr. Elisa Roth, CEO der Firma Augmented Industries in München. Technologiegestütztes Lernen und Werkerassistenzsysteme lieferten das Thema für ihre Promotion am Institute for Manufacturing der University of Cambridge. Die Bandbreite der Lösungen, mit denen sie sich auseinandersetzte, reichte von Exoskeletten (am Körper getragene Assistenzsysteme) und Datenbrillen bis zu Virtual und Augmented Reality. Das Fazit lautete, so Dr. Roth, dass die Technik zwar faszinierendes Potenzial hat, sich aber vieles davon als sehr komplex, mitunter technisch instabil oder nicht wirtschaftlich erwiesen habe. „Das passt nicht immer zur Produktion“, stellt sie fest. „Hier brauchen wir Stabilität, möchten schnelle Erfolgserlebnisse, geringen Aktualisierungsaufwand und dem Mitarbeiter zugleich möglichst viel Freiraum lassen“.
Assistenzsysteme mit KI im Arbeitsalltag
Als Mitbegründerin von Augmented Industries fokussiert sich Roth auf den Einsatz Künstlicher Intelligenz für ein individuelles Werkerassistenzsystem, das sich arbeitsbegleitend direkt in Produktion und Service einsetzen lässt. Entsprechend den betrieblichen Voraussetzungen kann es mit vielen Endgeräten, ob Touchscreen, PC, Smartphone oder Tablet genutzt werden. Die KI wird mit unternehmens- und prozessrelevanten Informationen gefüttert. Sie kann digitale Schritt-für-Schritt-Anleitungen erstellen und Fragen beantworten und hilft so dabei, Hemmschwellen abzubauen. „Wir konnten feststellen, dass es vielen Beschäftigten leichter fällt, die KI zu befragen als gegenüber Vorgesetzten oder Kollegen womöglich Wissenslücken zu offenbaren“, so Roth.
In der Aus- und Weiterbildung gehe der Trend eindeutig zu digitalen Lösungen, sagt die Expertin, weil sich Unternehmen Abwesenheitszeiten wegen einer Weiterbildung immer seltener leisten könnten. Auch fehle es vor allem an guten Trainern, sodass an digitaler Unterstützung kein Weg vorbei führt. In der Produktion, wo rund 70 Prozent des geforderten Wissens produkt- und prozessspezifisch sei, helfe aber kein Schulungsmaterial von der Stange. Der Vorteil der Trainer-KI sei, dass alle Informationen ausschließlich aus dem Unternehmen selbst stammen und sich didaktisch aufbereiten lassen.
Wissensmanagement durch smarte Assistenzsysteme
So macht die KI schon mal aus einer 100 Seiten umfassenden Arbeitsanweisung lauter kleine so genannte Wissens-Nuggets, die jeweils nicht länger als drei bis fünf Minuten dauern, damit sie auch behalten werden. Inhalte lassen sich schon mal als Schritt-für-Schritt Anweisung, Quiz, Multiple-Choice-Frage oder Swipe-Interaktion (Wischgesten) aufbereiten und vom jeweiligen Produktions- oder Serviceverantwortlichen ohne externe Hilfe einfach aufsetzen. Zusätzlicher Vorteil für das Qualifikations-Management: Das System merkt sich, wer welche Schulungen bereits durchlaufen hat, weist individualisiert Inhalte zu und kann Hinweise geben, wer qualifiziert ist und sich entsprechend für einen Arbeitsplatz oder einen Serviceauftrag einsetzen lässt. Diese automatisierte Qualifikationsmatrix erspare Meistern und Teamleitern zusätzlich Pflegeaufwand im Rahmen der ISO9001 Auditierung.
Augmented Industries entwickelte mehr als zwei Jahre an ihren mensch-zentrierten KI-Agenten, so Dr. Roth, einschließlich, aller Sicherheitsmechanismen und der Berücksichtigung relevanter Compliance-Regeln. Inzwischen zählen Unternehmen wie Siemens, BMW und ZF zu den Kunden, die Ziele klingen ambitioniert: „Bis 2030“, sagt Roth, „wollen wir rund eine Million Fachkräfte qualifizieren.“ Die Präsenz auf der EMO 2025 diene auch dazu, Trends in der Produktionstechnologie zu erkunden und dadurch weitere Erkenntnisse für Schulungsthemen zu gewinnen.
Nachwuchs fördern, Zukunft gestalten
Schulungs- und Bildungsthemen sind seit jeher fester Bestandteil der EMO, die sich unter anderem mit der Sonderschau Bildung als eine der wichtigsten Plattformen zur Nachwuchsförderung im Maschinen- und Anlagenbau etabliert hat. Die Sonderschau ist eine gemeinsame Initiative der Nachwuchsstiftung Maschinenbau und technologieführender Unternehmen aus der Metallbearbeitung. Fachimpulse und Talks befassen sich mit Trendthemen wie Future Skills (Zukunftskompetenzen), Künstlicher Intelligenz in der Ausbildung und neuen Lernwelten für die berufliche Bildung.
Die Anstrengungen sind groß, gerade junge Leute für die Produktionstechnik zu begeistern. Ebenso groß sollten sie sein, um Fachkräfte möglichst lange in der Produktion zu halten und sie zu befähigen, sich einer schnell wandelnden Arbeitswelt anzupassen, betonte kürzlich Prof. Jutta Rump, Direktorin des IBE (Institut für Beschäftigung und Employability) an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwighafen. Im Podcast Tech Affair des VDW (Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken) rechnete sie vor, dass in Deutschland bis 2030 rund 13 Millionen Fachkräfte altersbedingt aus dem Arbeitsmarkt scheiden, aber nur 6,5 Millionen Nachwuchskräfte nachrücken. Unternehmen müssten nicht nur sehr viel mehr als bisher in ihre Produktivität investieren.
Fachkräfte binden – Personalentwicklung neu denken
Dringend notwendig sei darüber hinaus ein professionelles Personalmanagement, das darauf abzielt, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter proaktiv zu qualifizieren. Gerade in Zeiten des Strukturwandels, mit Stellenabbau auf der einen und Fachkräftemangel auf der anderen Seite, sei ein Reskill wichtig, das Beschäftigten neue Perspektiven eröffne in Bereichen, in denen es Bedarf gibt. Eher fahrlässig sei es, sich nicht stärker auf die Bedürfnisse bestimmter Gruppen einzustellen, etwa älterer Arbeitnehmer, ausländischer Fachkräfte mit etwaigen sprachlichen Defiziten oder auch Frauen mit Kindern, für die sie keine Betreuung finden. Viel hänge bei der Personalakquise davon ab, geeignete Arbeitsplätze und individuelle Förderung anzubieten.
Das dürfte Datron-Chef Michael Daniel ähnlich sehen, wenn er betont, wie wichtig es sei, eine Weiterbildung mit individuellen Entwicklungspfaden zu fördern, die sich an den Stärken und Interessen der Menschen orientiert. Mitarbeitende schätzten den Freiraum, eigenständig zu arbeiten, ob in der Fertigung, im Service oder in der Entwicklung. Daniel ist überzeugt: „Was uns attraktiv macht, ist eine Kultur, die Leistung anerkennt, Leben respektiert und Entwicklung ermöglicht.“
Autorin: Cornelia Gewiehs, freie Journalistin
Foto: Datron