Die Krise nebst ihren Folgen traf die Unternehmen wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ist die Corona-Pandemie ein Schwarzer Schwan? Dieser Eindruck wird oft in der öffentlichen Diskussion erweckt. „Corona“ deckt jedoch primär Schwächen im Risikomanagement nicht nur einzelner Unternehmen, sondern ganzer Branchen auf.
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Im Zusammenhang mit der Corona-Virus-Epidemie hört man aktuell oft, dass sie ein echter „Schwarzer Schwan“ sei. Gemeint ist damit ein nicht oder nur schwer vorhersehbares Ereignis, das sich durch zwei wesentliche Eigenschaften auszeichnet:
- Das Ereignis hat weitreichende, zumeist negative Konsequenzen für alle direkt und indirekt betroffenen Personen und Organisation hat.
- Es stellt die Paradigmen ihres bisherigen Denkens und Handelns zumindest in Frage oder macht, wie bei vielen Unternehmen, die bisherigen Strategien sogar obsolet.
Schwarze Schwäne werden häufiger
Dabei fällt auf: Die „Schwarzen Schwäne“ scheinen sich in den letzten zwei Jahrzehnten zu häufen. So wird im Zusammenhang mit Corona zuweilen auch auf den 2004 von einem Seebeben ausgelösten Tsunami im indischen Ozean und das Atomreaktor-Unglück 2011 im japanischen Fukushima verwiesen. Weit häufiger wird aufgrund der weltweiten Auswirkungen von Corona jedoch auf die 2008 durch die Lehman-Pleite ausgelöste Finanzkrise verwiesen. Diese wiederum bewirkte teilweise die kurze Zeit später folgende Eurokrise. Und zuweilen wird auch die durch die „Schummeleien“ mancher Autohersteller ausgelöste „Dieselaffäre“ erwähnt, die zumindest für viele Automobilindustrie-Zulieferer ein Schwarzer Schwan war, der ihre bisherigen, in der Regel erfolgreichen Handlungs- bzw. Unternehmensstrategien hinfällig machte.
Starke Parallelen zur Finanzkrise 2008
Doch lässt sich die Corona-Epidemie mit den vorgenannten Beispielen vergleichen? Nur bedingt, denn der Tsunami etwa war – trotz der über 200 000 Toten – primär ein regionales Ereignis und die Auswirkungen der „Dieselaffäre“ blieben weitgehend auf die Automobilbranche begrenzt. Am ehesten lässt sich die Corona-Krise mit der Finanzkrise 2008 vergleichen, die uns drastisch die Fragilität des internationalen Finanzsystems vor Augen führte. Denn: Die Corona-Epidemie oder -Pandemie macht uns deutlich wie verletzlich unser globales Wirtschaftssystems mit seinem kaum noch zu entwirrenden Knäuel von wechselseitigen Abhängigkeiten und Interdependenzen ist.
Auch „Schwarze Schwäne“ haben Ursachen
Der Begriff „Schwarzer Schwan“ geht auf das 2001 erschienene Buch „Fooled By Randomness“ des Publizisten, Finanzmathematikers und Investmentbankers Nassim Nicholas Taleb zurück, das sich mit der Geschichte der Finanzwirtschaft befasst. 2007 veröffentlichte er zudem ein Buch mit dem Titel „The Black Swan“, das sich mit unvorhersehbaren und folgenschweren Ereignissen jenseits des Finanzmarkts beschäftigt.
Taleb zufolge sind Schwarze Schwäne höchst seltene und unwahrscheinliche Ereignisse,
- die extreme Auswirkungen für die direkt und indirekt Betroffenen haben,
- für die man jedoch im Nachhinein meist einleuchtende und verständliche Erklärungen findet.
Hierzu zählt er auch solche eher zufälligen Ereignisse wie die Entdeckung des Penizillins, die das Gesundheitswesen revolutionierte, und die Entdeckung Amerikas bei der Suche nach einem neuen Seeweg nach Indien.
Schwarze Schwäne zeigen blinde Flecken auf
Wie Taleb schrieb, findet man für die meisten Schwarzen Schwäne im Rückblick Erklärungen. Das heißt, sie sind nicht so unvorhersehbar wie sie zumindest zum Zeitpunkt ihres Auftretens oft dargestellt werden – auch als Entschuldigung dafür, dass zum Beispiel ein Unternehmen aufgrund des aufgetretenen Ereignisses so stark in eine Schieflage geriet.
Doch bei allen vorgenannten Beispielen aus jüngster Zeit gab es im Vorfeld Experten, die vor entsprechenden Ereignissen oder Entwicklungen warnten. Dies gilt auch für den Schwarzen Schwan „Klimawandel“, der aktuell im Gefolge der Corona-Epidemie wieder an den Rand des öffentlichen Bewusstseins gedrängt wird. Das heißt: Viele Schwarze Schwäne waren bzw. sind vorhersehbar. Deshalb machen sie eher schlagartig blinde Flecken im kollektiven Denken und in der kollektiven Wahrnehmung sichtbar.
Schwarze Schwäne machen Strategie-Brüche sichtbar
Zudem machen Schwarze Schwäne Inkonsistenzen in den Handlungsstrategien von Gesellschaften und Unternehmen deutlich. Im gesellschaftlichen Diskurs wird beispielsweise über Regionalität bzw. eine verbrauchernahe Produktion im Bereich der Energie- und Lebensmittelversorgung debattiert. Die medikamentöse Versorgung wird jedoch völlig vergessen, was aktuell im Zuge der Corona-Epidemie zu Versorgungsengpässen führt.
Ähnlich verhält es sich in der Industrie. Dort realisierten viele Unternehmen in den zurückliegenden Jahrzehnten in ihrer Produktion zum Beispiel „Just-in-time“-Konzepte. Dabei berücksichtigten sie oft nicht ausreichend, dass bei einer Lieferung der benötigten Teile aus China, die zudem aus den Werkstätten eines Lieferanten stammen, die Gefahr steigt, dass diese nicht „just-in time“ angeliefert werden. Das wiederum legt die Produktion lahm.
Das heißt: Viele der sogenannten Schwarzen Schwäne hätten im Rückblick vermieden werden können bzw. es wäre bei einem professionellen Risikomanagement eine bessere Vorsorge für den Not- oder Bedarfsfall möglich gewesen.
Die Strategie „krisenfest“ machen – soweit möglich
Solche Inkonsistenzen – etwa aufgrund kollektiver blinder Flecken durch die Zugehörigkeit zu einer Branche – existieren oftmals in den Strategien der Unternehmen. Diese können mittel- und langfristig zu Existenzkrisen führen. Deshalb sollten die Unternehmen die aktuelle Corona-Krise, sofern sie nicht ums Überleben kämpfen, als Anlass nutzen, um mit externer Expertenunterstützung jenseits des Tagesgeschäfts eine relevante Frage zu checken. Sie lautet: Inwieweit existieren solche „Brüche“ in strategischen Überlegungen und Entscheidungen? Denn nur dann können die erforderlichen Vorsorgemaßnahmen ergriffen werden, um zu vermeiden, dass aus vorhandenen Risiken Schwarzen Schwäne werden, die im Extremfall die Existenz gefährden.
Zum Autor: Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal. Er ist unter anderem Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe und der Technischen Universität Clausthal.
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