Um den dramatischen Preissteigerungen entgegenzuwirken, hat die EU verschiedene Notfallmaßnahmen für die Energiemärkte vorgelegt. Ein Ministerrat ist dazu am Freitag, 30. September, erstmals zusammengetreten. Was waren die Kernthemen – und was wurde beschlossen?
Die Energieminister der EU haben sich auf eine einheitliche Reaktion auf die hohen Energiepreise einigen können. In einer am 30. September beschlossenen Verordnung sind gemeinsame Maßnahmen zur Senkung der Stromnachfrage und zur Erhebung und Umverteilung der Überschusserlöse des Energiesektors an die Endkunden vorgesehen.
„Dies sind außergewöhnliche Zeiten, und wir arbeiten außerordentlich schnell, koordiniert und solidarisch daran, gegen die von Russland betriebene, anhaltende Instrumentalisierung der Energieversorgung als Druckmittel eine geschlossene Front zu bilden“, sagte Jozef Síkela, der tschechische Minister für Industrie und Handel im Anschluss an das Zusammentreffen. Die erzielte Einigung werde die europäischen Bürger und Unternehmen entlasten, so Síkela. „Die Mitgliedstaaten werden für eine Abflachung der Strombedarfskurve zu Spitzenzeiten sorgen, was unmittelbare positive Auswirkungen auf die Preise haben wird. Sie werden Überschussgewinne aus dem Energiesektor an jene Kunden verteilen, die Schwierigkeiten haben, ihre Rechnungen zu bezahlen.“ Tschechiens aktueller Ratsvorsitz ist Teil des elften Ratsvorsitz-Trios, welches 2022 begann und auch noch aus Frankreich und Schweden besteht.
Senkung der Stromnachfrage
Konkret einigte sich der Europäische Rat auf das Ziel, den Gesamtbruttostromverbrauch auf freiwilliger Basis um 10 Prozent zu senken. Zudem verfolgt er das verbindliche Ziel, den Stromverbrauch zu Spitzenzeiten um 5 Prozent zu senken. Die Mitgliedstaaten werden jene 10 Prozent ihrer Spitzenzeiten ermitteln, zu denen sie die Nachfrage zwischen dem 1. Dezember 2022 und dem 31. März 2023 senken werden. Den Mitgliedstaaten steht es dabei frei, die angemessenen Maßnahmen auszuwählen, um den Verbrauch in diesem Zeitraum gemäß den beiden Zielvorgaben zu senken.
Obergrenze für „inframarginale“ Erzeuger
Zudem kamen die Minister überein, die Markterlöse von Stromerzeugern, die sogenannte „inframarginale“ Technologien wie erneuerbare Energien, Kernenergie und Braunkohle zur Stromerzeugung einsetzen, auf 180 Euro/MWh zu begrenzen. Diese Betreiber haben in den letzten Monaten unerwartet hohe finanzielle Gewinne erzielt, ohne dass ihre Betriebskosten gestiegen sind. Grund dafür ist, dass Kohle und Gas preisbildende marginale Quellen sind, die derzeit den Endpreis für Strom in die Höhe treiben. Die Höhe der Obergrenze ist dem Europäischen Rat zufolge so festgelegt, dass die Rentabilität der Betreiber gewahrt ist und Investitionen in erneuerbare Energien nicht behindert werden.
Die Mitgliedstaaten haben hierbei für eine gewisse Flexibilität gesorgt, damit den nationalen Gegebenheiten und den auf nationaler Ebene bereits bestehenden Maßnahmen Rechnung getragen werden kann. Dazu gehört die Möglichkeit, eine höhere Erlösobergrenze festzulegen und Maßnahmen zur weiteren Begrenzung der Markterlöse zu treffen. Wenn die Abhängigkeit eines Mitgliedstaats von Nettoeinfuhren 100 Prozent oder mehr beträgt, schließen der Einfuhrmitgliedstaat und der Ausfuhrmitgliedstaat bis zum 1. Dezember 2022 eine Vereinbarung über die angemessene Aufteilung der Überschusserlöse. Andere Mitgliedstaaten werden ebenfalls ersucht, solche Vereinbarungen zu schließen.
Solidaritätsabgabe für den Sektor der fossilen Brennstoffe
Für Unternehmen im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich wollen die Mitgliedsstaaten einen verpflichtenden Solidaritätsbeitrag festlegen. Dieser soll Haushalte und Unternehmen finanziell unterstützen sowie die Auswirkungen der hohen Einzelhandelsstrompreise abfangen. Die Berechnung erfolgt auf Grundlage der steuerpflichtigen Gewinne, die nach den nationalen Steuervorschriften in dem 2022 und/oder 2023 beginnenden Haushaltsjahr ermittelt wurden und mehr als 20 Prozent über dem Durchschnitt der jährlichen steuerpflichtigen Gewinne seit 2018 liegen. Der Solidaritätsbeitrag wird zusätzlich zu den in den Mitgliedstaaten geltenden üblichen Steuern und Abgaben erhoben. Die Mitgliedstaaten können hierbei nationale Maßnahmen beibehalten, die der Solidaritätsabgabe gleichwertig sind – sofern sie mit den Zielen der Verordnung vereinbar sind und mit ihnen mindestens vergleichbare Einnahmen erzielt werden.
Maßnahmen für KMU-Endkunden
Schließlich hat der Rat beschlossen, dass die Mitgliedstaaten vorübergehend einen Preis für die Stromversorgung kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) festlegen können. So können sie ebensolche Betriebe, die mit den hohen Energiepreisen Schwierigkeiten haben, weiter unterstützen. Die Mitgliedstaaten haben ferner vereinbart, dass sie ausnahmsweise und vorübergehend unterhalb der Kosten liegende Strompreise festlegen können.
Hintergrund
Die EU verzeichnet seit geraumer Zeit einen ungewöhnlichen Anstieg der Energiepreise, der sich durch die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine weiter verschärft hat. Die EU-Länder handeln geschlossen und stimmen ihre Bemühungen im Geiste der Solidarität eng miteinander ab, um die Energieversorgung der EU abzusichern und die Auswirkungen der hohen Energiepreise auf die Verbraucher und die Wirtschaft abzufedern. In diesem Zusammenhang hat die Kommission im Anschluss an die politischen Leitlinien, die der Rat auf der außerordentlichen Tagung des Rates „Energie“ vom 9. September herausgegeben hat, am 14. September 2022 einen Vorschlag für eine Verordnung des Rates über Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise vorgelegt.