Die wirtschaftliche Erholung lässt weiter auf sich warten – und damit gewinnt die Antwort auf die Frage, ob das eigene Unternehmen noch zahlungsfähig ist, nach drei Jahren der Multi-Dauerkrise sehr an Bedeutung. Die Insolvenzantragspflicht bei Zahlungsunfähigkeit gilt trotz verschiedener „Corona-Erleichterungen“ weiterhin uneingeschränkt. Eine notwendige Restrukturierung oder Sanierung ist daher rechtzeitig anzugehen, wenn noch Reserven vorhanden sind.
Der Beitrag erschien unter dem vollen Titel Noch zahlungsfähig? – Welche Punkte Geschäftsleiter im Falle einer Krise kennen und beachten sollten ursprünglich in Ausgabe 3/23 von stahl + eisen in der Rubrik Recht + Finanzen. Autoren sind René Schmidt und Stefan Höge, Schultze & Braun.
Nicht zuletzt die Tatsache, dass die deutsche Wirtschaft im letzten Quartal 2022 stärker geschrumpft ist als zuvor angenommen und das Bruttoinlandsprodukt auch im ersten Quartal des laufenden Jahres zurückgehen dürfte, zeigt, dass die wirtschaftliche Erholung – anders als von Vielen erhofft – weiterhin auf sich warten lässt. Angesichts der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Vielzahl an Krisen, die sich seit drei Jahren als Multi-Dauerkrise die Klinke in die Hand geben, der inzwischen durchaus restriktiveren Kreditvergabe der Banken und der allgemeinen Preissteigerung sollten sich Geschäftsleiter – so hart das zunächst klingen mag – regelmäßig mit der Frage „Ist mein Unternehmen noch zahlungsfähig?“ befassen.
Die Antwort darauf hat nicht nur für Unternehmen, sondern gerade auch für Geschäftsleiter in Bezug auf ihre persönliche Haftung eine große Bedeutung. Grundsätzlich gilt: Kann ein Unternehmen seine fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr begleichen, liegt die Zahlungsunfähigkeit – bislang der mit Abstand häufigste Grund für Insolvenzanträge – vor. In einem solchen Fall greift die Insolvenzantragspflicht und ein Geschäftsleiter ist dazu verpflichtet, innerhalb der gesetzlichen Frist – in der Regel drei Wochen – einen Insolvenzantrag zu stellen. Daran änderten auch die Anfang November 2022 in Kraft getretenen Erleichterungen im Insolvenzrecht nichts (siehe Aufzählung nächste Seite).
Rechtliche Definition der Zahlungsfähigkeit
Zahlungsunfähigkeit liegt nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn das Unternehmen zu einem Stichtag zehn Prozent oder mehr seiner fälligen Verbindlichkeiten mit den präsenten liquiden Mitteln nicht begleichen kann und diese Lücke auch nicht innerhalb von drei Wochen unter Beachtung der in dieser Zeit fällig werdenden Verbindlichkeiten mit den in diesem Zeitraum zusätzlich verfügbar werdenden liquiden Mitteln schließen kann. Ob ein Unternehmen zahlungsunfähig ist oder nicht, lässt sich für den jeweils aktuellen Tag mit der sogenannten erweiterten Liquiditätsbilanz feststellen, die als Methode seit inzwischen fast 20 Jahren etabliert ist und deren Berechnung in zwei Schritten erfolgt. Der erste Schritt der erweiterten Liquiditätsbilanz: Zu einem Stichtag werden die vorhandenen Geldmittel und die noch an diesem Tag zufließenden Gelder aus dem Einzug von Forderungen des Unternehmens den zu diesem Stichtag fälligen Verbindlichkeiten gegenübergestellt.
Der zweite Schritt: Decken die vorhandenen Geldmittel die fälligen Verbindlichkeiten nicht zu mindestens 90 Prozent, muss im zweiten Schritt geprüft werden, ob diese Unterdeckung innerhalb der folgenden drei Wochen beseitigt werden kann. Dazu werden die voraussichtlichen Einnahmen der nächsten drei Wochen und die Verbindlichkeiten, die in diesem Zeitraum fällig werden und daher bedient werden müssen, jeweils zu den Stichtagswerten hinzugerechnet. Wichtig ist allerdings, dass Warenvorräte und teilfertige Leistungen bei der Berechnung erst dann berücksichtigt werden dürfen, wenn diesbezüglich einzugsfähige Forderungen einem Kunden in Rechnung gestellt worden sind und eine Zahlung des Kunden in den drei Wochen zu erwarten ist.
Drei Wochen-Frist mit großer Bedeutung
Wenn klar ist, dass die Geldmittel zum ersten Stichtag und auch perspektivisch in den nächsten drei Wochen die fälligen Verbindlichkeiten nicht vollständig abdecken, ist das Unternehmen bereits zum ersten Stichtag zahlungsunfähig. Die beiden dargestellten Schritte der etablierten erweiterten Liquiditätsbilanz zeigen, wie wichtig einerseits die zügige Rechnungstellung für erbrachte Leistungen und gelieferte Waren ist und dass andererseits bei der Antwort auf die Frage, ob das Unternehmen noch zahlungsfähig ist, durchaus professionelle Hilfe zu Rate gezogen werden sollte, damit Geschäftsleiter das Risiko einer persönlichen Haftung für sich reduzieren.
Vereinfachte Methode mit Risiken
Der Bundesgerichtshof hat im Sommer 2022 in einer Leitsatzentscheidung eine vereinfachte Methode zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit ermöglicht, die jedoch für Unternehmen und gerade auch für Geschäftsleiter durchaus mit Risiken verbunden ist. Nach der BGH-Entscheidung ist es möglich, an mehreren Stichtagen innerhalb eines dreiwöchigen Zeitraumes jeweils einen vereinfachten Liquiditätsstatus zu erstellen. In diesem vereinfachten Status, der dem ersten Schritt der erweiterten Liquiditätsbilanz entspricht, werden die am jeweiligen Stichtag konkret vorhandenen Geldmittel (Kasse, Bank und an dem Tag zufließende Gelder aus dem Einzug von Forderungen) und die konkret zum jeweiligen Stichtag fälligen und unbezahlten Verbindlichkeiten einander gegenübergestellt. Wenn sich an drei weiteren aufeinanderfolgenden Stichtagen innerhalb eines drei Wochen-Zeitraumes bei dieser Gegenüberstellung herausstellt, dass die Liquiditätslücke jeweils zehn Prozent oder mehr beträgt, gilt das Unternehmen sogar rückwirkend ab dem ersten Stichtag als zahlungsunfähig.
Ungewollte Insolvenzverschleppung und Haftungsrisiko
Für Geschäftsleiter erhöht die vereinfachte Methode das Risiko einer ungewollten, aber gleichwohl strafbaren Insolvenzverschleppung. Sie stellen dabei erst mit dem letzten Liquiditätsstatus nach drei Wochen fest, ob ihr Unternehmen bereits zum ersten Stichtag, also drei Wochen zuvor, zahlungsunfähig war. Es ist damit bereits ein beträchtlicher Zeitraum mit eingetretener Zahlungsunfähigkeit vergangen. Hinzu kommt, dass die Frist für die Stellung eines Insolvenzantrages lediglich drei Wochen ab dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit beträgt. Es kann daher sein, dass ein Geschäftsleiter erst am letzten Tag der Frist erfährt, dass er zur Vermeidung von strafrechtlicher und zivilrechtlicher Haftung noch an diesem Tag einen Insolvenzantrag stellen muss, was angesichts der dafür notwendigen Zeit quasi unmöglich ist.
Wird ein Insolvenzantrag allerdings zu spät gestellt, können dem Geschäftsleiter aufgrund der Haftungsregeln des Insolvenzrechts erhebliche finanzielle Konsequenzen drohen – etwa für Auszahlungen nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit. Abhängig vom finanziellen Volumen der Zahlungen und dem Zeitraum der Insolvenzverschleppung hängt in einer solchen Situation über so manchem Geschäftsleiter ein mitunter Millionen Euro schweres Haftungs-Damoklesschwert. Gegebenenfalls sind im Zusammenhang stehende Kriterien wie ernsthafte Sanierungsbestrebungen und der Masse zugeflossene Gegenleistungen zu berücksichtigen.
Weiterhin erweiterte Liquiditätsbilanz einsetzen
Das Risiko der vereinfachten Methode liegt zudem darin, dass sie tendenziell zu verkürzten Berechnungen führt, zukunftsgerichtete Finanzpläne als Instrumente des in der Krise gebotenen verschärften Controllings nicht einbezieht, einen Überhang an zukünftig fällig werdenden Verbindlichkeiten nicht erkennen lässt und darüber hinaus kurzfristige Zahlungsstockungen nicht abbilden kann. Geschäftsleiter sollten daher auf der Grundlage der ordnungsgemäßen Buchführung weiterhin die erweiterte Liquiditätsbilanz einsetzen und die Finanzpläne berücksichtigen – gerade auch, um bei der Antwort auf die Frage „Zahlungsunfähig oder (noch) nicht?“ für ihr Unternehmen und sich selbst auf der sicheren Seite zu sein.
Unterschiedliche Sanierungsoptionen prüfen
Grundsätzlich gilt: Geschäftsleiter sollten eine notwendige Restrukturierung oder Sanierung rechtzeitig angehen, wenn ihr Unternehmen noch Reserven hat. Wenn Gegenmaßnahmen rechtzeitig eingeleitet werden, bestehen bessere Chancen auf einen erfolgreichen und nachhaltigen Ausgang. Einfach abzuwarten und auf eine baldige Besserung der Konjunktur und der wirtschaftlichen Gesamtlage zu setzen, ist keine sinnvolle Strategie. Geschäftsleiter, deren Unternehmen sich in einer Krise befindet oder absehbar darauf zusteuert – was unter anderem an der zunehmenden Ausschöpfung der gewährten Kontokorrentlinien erkennbar ist – sollten auch eine Neuaufstellung mit Hilfe der Instrumente des Sanierungsrechts zumindest als Option ansehen. Bei finanziellen Schwierigkeiten ist zunächst immer der Versuch einer außergerichtlichen Sanierung sinnvoll.
Dies erfordert jedoch oft schwierige Verhandlungen mit den Gläubigern, die in der Regel sämtlich dem Sanierungskonzept zustimmen müssen. Stimmt auch nur ein Gläubiger nicht zu, kann es schwierig werden, auf diesem Weg eine Lösung zu finden. Im deutschen Sanierungs- und Insolvenzrecht stehen Geschäftsleitern gleichwohl verschiedene weitere Möglichkeiten und Verfahren zur Verfügung.
StaRUG oder Schutzschirm?
Ist die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens gesichert, gibt es seit dem 1. Januar 2021 die Möglichkeit einer Restrukturierung nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -Sanierungsgesetz, kurz StaRUG. Dies kann ein erfolgversprechender Schritt sein, da im StaRUG-Verfahren nur noch drei Viertel der betroffenen Gläubiger dem Restrukturierungsplan zustimmen müssen. Mit dem StaRUG kann ein Unternehmen sich mit einem angepassten Finanzplan außerhalb eines Insolvenzverfahrens und unter Ausschluss der Öffentlichkeit neu ausrichten. Kommt das StaRUG nicht in Betracht, weil das Unternehmen seine Zahlungsfähigkeit absehbar nicht (mehr) sicherstellen kann, stehen mit dem Schutzschirmverfahren, der Eigenverwaltung (Sanierung in eigener Regie), aber auch mit der Regelinsolvenz weitere Sanierungsverfahren zur Verfügung.
Allerdings ist die Antwort auf die Frage „Ist mein Unternehmen noch zahlungsfähig?“ nicht nur mit dem Blick auf eine mögliche Haftung, sondern insbesondere bei einer vorinsolvenzlichen StaRUG-Restrukturierung und bei einem Schutzschirmverfahren von Belang. Beide Verfahren können Unternehmen nur dann beantragen, wenn einem Unternehmen die Zahlungsunfähigkeit nur droht, sie aber noch nicht eingetreten ist.
Fazit:
Es zeigt sich: Geschäftsleiter, deren Unternehmen aufgrund der Multi-Dauerkrise in eine wirtschaftliche Schieflage geraten sind oder absehbar geraten werden, haben mehrere Möglichkeiten und Verfahren, um Krisen zu meistern. Dieses Ziel wird am besten erreicht, wenn alle Beteiligten wissen, was sie zu tun haben, und wenn frühzeitig, schnell und konsequent gehandelt wird. So hart es klingt: Zu spät kann in diesen Zeiten das „totale Aus“ bedeuten.