Mit der Bewilligung der ersten Milliarden-Förderbescheide für Deutschlands Stahlproduzenten startet die Bundesregierung das Kapitel Klimaschutzverträge, um die Dekarbonisierung der deutschen Industrie voranzubringen. Ein teures Abenteuer, wenn nicht einige Mechanismen korrigiert werden.
Der Beitrag erschien in Ausgabe 7–8/23 von stahl + eisen in der Rubrik Recht + Finanzen. Autoren sind René Schumann, Gründer und Finanzgeschäftsführer der Negotiation Advisory Group GmbH, und Dr. Oliver Mäschle, der dort Director ist.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis90/Die Grünen) und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) ließen sich die Chance auf einen medienwirksamen Termin nicht entgehen. Auf der Hannover Messe im April überreichten sie gemeinsam vor der versammelten Presse den Vertretern der Salzgitter AG einen Förderbescheid in Höhe von rund einer Mrd. Euro. Das Geld soll in die erste Ausbaustufe des Transformationsprogramms zur Produktion grünen Stahls fließen, die bis 2025 umgesetzt werden soll. Salzgitter beteiligt sich daran nach eigenen Angaben mit über einer Milliarde Euro. Auch andere Stahlhersteller wie Thyssenkrupp Steel Europe und ArcelorMittal rüsten auf grünen Stahl um. Letztgenannter will „in Deutschland eine Vorreiterrolle übernehmen und bereits ab 2026 bis zu 50 Prozent der CO2-Emissionen reduzieren“.
Firmenspezifische Klimaschutzverträge mit Unternehmen der Grundstoffindustrie
Die Umstellung auf klimaneutrale Produktion mit der Stahlindustrie zu beginnen, ist folgerichtig. Sie ist mit 30 Prozent der CO2-Emissionen der größte Emittent von Klimagasen der deutschen Industrie und für 6,8 Prozent der gesamten Emissionen Deutschlands verantwortlich. Von dem je nach Konjunkturlage zwischen 35 und 40 Millionen Tonnen produzierten Stahl jährlich werden rund zwei Drittel auf Basis der CO2-intensiven Hochofenroute-Technik erstellt und ein Drittel in Elektroöfen, in denen vor allem recycelter Stahl zum Einsatz kommt und erheblich weniger Klimagase anfallen. Grüner Stahl ist allerdings deutlich teurer als der aus konventioneller Produktion.
Um die Differenz auszugleichen, hat die Bundesregierung beschlossen, statt der klassisch öffentlichen Förderprogramme mit Unternehmen energieintensiver Branchen firmenspezifische Klimaschutzverträge (KSV) über einen Zeitraum von 15 Jahren zu vereinbaren. Sie sollen die transformationsbedingten Mehrkosten sowohl der Investitionen (Capex) als auch der Betriebsausgaben (Opex) der betroffenen Unternehmen decken, bis Kostenparität zwischen neuer und alter Technologie erreicht ist und gleiche Wettbewerbsbedingungen für die klimaneutrale Produktion bestehen. Neben der Stahlindustrie soll die Transformation in weiteren Branchen gefördert werden, etwa die Produktion von Zement, Ammoniak, Glas, Keramik und Papier. Insgesamt will der Bund dafür in den nächsten Jahren rund 68 Mrd. Euro bereitstellen.
Gefahr zu hoher Subventionen
Zwar gehen auch die Unternehmen damit ein unkalkulierbares Lock-in-Risiko ein, wenn sie jetzt Milliardeninvestitionen tätigen im Vertrauen darauf, dass der Staat ihnen in der Zukunft die Differenz zwischen den höheren Betriebskosten für den grünen gegenüber dem grauen Stahl ausgleicht. Doch auf staatlicher Seite besteht das Risiko, dass die Gelder der Steuerzahler wenig effizient eingesetzt werden. Darauf weist bereits der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium in einem Sondergutachten hin. Er bemängelt zu Recht, dass solche Klimaschutzverträge zu einer erheblichen Überförderung führen, den Wettbewerb behindern und die Entwicklung neuer Technologien ausbremsen könnten.
Unternehmen hätten den Anreiz, die Kosten zu übertreiben, um höhere Subventionen zu erhalten. Denn in den bilateralen Verhandlungen zwischen Staat und den Unternehmen besteht Informationsasymmetrie: Der Staat hat einen erheblichen Informationsnachteil gegenüber den Unternehmen, den diese in den Verhandlungen ausspielen können. Deshalb fordert der Wissenschaftliche Beirat, die Ausschreibungen sollten in einem wettbewerblichen Verfahren erfolgen. Daraufhin ließ Wirtschaftsminister Habeck die Förderrichtlinien überarbeiten mit dem Ziel, künftig KSV im Wettbewerb zu vergeben.
Auktionen für Klimaschutzverträge – aber wie?
Die Verträge sollen nun per Auktion versteigert werden. Die Unternehmen müssen nun bieten, wie viel Euro sie an Subventionen brauchen, um ihre Produktion umzustellen. Und nur die in diesem Bieterverfahren günstigsten sollen auch Subventionen erhalten. Einzelheiten über das Auktionsverfahren teilte das Wirtschaftsministerium aber nicht mit. Zudem lässt die Richtlinie einige Hintertüren offen, meldete das „Handelsblatt“: In bestimmten Sektoren soll der Bund auf Auktionen verzichten können. Allerdings ist es derzeit ein eher theoretischer, akademischer Anspruch, den Wettbewerb über Auktionen beleben zu wollen, da die Voraussetzungen für die Auktionen bislang nicht gegeben und kommuniziert sind. So fehlt der direkte Wettbewerbsvergleich zwischen den Anbietern, auch gibt es in dem Verfahren kein direktes Feedback von Seiten des Staates auf die Angebote der Unternehmen. So lässt sich in dem Auktionsverfahren kein Wettbewerbsdruck aufbauen. Das Ziel, bessere Deals für die öffentliche Hand und innovativere Problemlösungen zu generieren, lässt sich so nicht erreichen.
Vorschläge für ein effizientes Auktionsverfahren
Prinzipiell sind Auktionsverfahren einer öffentlichen Ausschreibung überlegen, in der es für die Unternehmen keine Transparenz gibt und auf die sie nicht wettbewerbsmäßig reagieren können. Aus Sicht von Verhandlungsexperten mit Erfahrungen in Auktionsverfahren ist es allerdings notwendig, die Voraussetzungen für Auktionen und damit eine höhere Wettbewerbsintensität zwischen den Anbietern zu schaffen. Dies lässt sich durch folgende fünf Maßnahmen erreichen:
- Bessere Vergleichbarkeit der Angebote der beteiligten Unternehmen: Dies muss verschiedene Indikatoren umfassen, etwa den Budgetbedarf, die zeitliche Verteilung der Förderung, die Budgeteffizienz, die Zeitpunkte der Realisierung der CO2-Einsparung und die Stabilität der Geschäftsmodelle. Zudem sind die Investitions- und Betriebsausgaben (Capex und Opex) zusammen zu betrachten, um Lock-in-Effekte bei den Opex-Verhandlungen zu vermeiden.
- Synchronisierung der Entscheidungsmomente: Da die Angebote zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingereicht werden, müssen sie, um Wettbewerbsdruck auf die Unternehmen über das Feedback des Staates zu erzeugen, für einen Wettbewerbsvergleich „zu einem Zeitpunkt“ vergleichbar gemacht werden. Sollte das nicht möglich sein, ist , als zweitbeste Lösung, eine Bündelung zu versuchen, etwa durch die Festlegung einiger Zeitpunkte, zu denen die Unternehmen ihren Subventionsbedarf anmelden können, um auf diese Weise einen gewissen Wettbewerbsdruck erzeugen und damit Mindestvorgaben an die Unternehmen als Feedback geben zu können.
- Transparenz über sämtliche Entscheidungsparameter und deren Gewichtung durch die Vergabestelle bzw. den Auktionator: Das betrifft beispielsweise den zeitlichen Horizont, Rückzahlungsverpflichtungen bei Ausfall, Umgang mit Marktverschiebungen bzw. Strukturveränderungen.
- Einhaltung der Bedingungen: Sind alle Entscheidungsparameter veröffentlicht, muss sich die Vergabestelle daran halten – unabhängig davon, welches Unternehmen den Zuschlag erhält. Hält sich der Staat nicht an das Auktionsergebnis, dürften politische Konflikte unvermeidbar sein, etwa indem Unternehmen „ihre“ Bundesländer oder Betriebsräte mobilisieren.
- Festlegung der mengenmäßigen Tranchen und der zeitlichen Intervalle im Auktions- beziehungsweise Vergabedesign: Dies entscheidet über die Wettbewerbsintensität sowie den Kreis der teilnehmenden Unternehmen und deren Angebote. Nach unserem derzeitigen Kenntnisstand kommen dazu in erster Linie zwei Auktionsformen in Frage: Eine reine Englische Auktion, die von einer niedrigen Subvention ausgeht und bei der die Bieter die Gebote der Konkurrenten sehen können wie beispielsweise bei der UMTS-Auktion oder der Versteigerung von Autokennzeichen in China; oder eine Kombination aus Englischer Auktion und geschlossener Erstpreisauktion, bei der die Bieter die Gebote der Konkurrenz nicht sehen können und der Bieter, der zuerst zusagt, die Auktion gewinnt.
Fazit
Zu beachten ist: Bereits kleinste Veränderungen im Auktionsdesign können signifikante Auswirkungen auf das Biet- und Angebotsverhalten der Unternehmen haben. Zudem ist mit hochkomplexen Multi-Szenarien-Angeboten zu rechnen – beispielsweise in Abhängigkeit von der Nachfrageentwicklung nach grünem Stahl. Dies dürfte in der Konsequenz auf eine Mehrobjekte-Auktion hinauslaufen, die Anpassungen an den Auktionsmechanismus erfordert. Insofern tuen beide Seiten, sowohl die Unternehmen wie der Staat, gut daran, Verhandlungskompetenz in Bezug auf Auktionen aufzubauen.