Krisenteams einsetzen, die kurzfristig reagieren können
Zweitens gilt es mit Hilfe der Expertenteams, neue Risiken möglichst schnell zu erkennen und zu analysieren. Hier bietet die Digitalisierung neue Möglichkeiten, um deutlich frühzeitiger beispielsweise Engpasssituationen zu identifizieren. So nutzen einige Unternehmen dazu bereits Künstliche Intelligenz. Wenn bei Google die Anfragen zu bestimmten Themen wie die Preisentwicklung bestimmter Rohstoffe oder mögliche Alternativquellen für eine bestimmte Metalllegierung zunehmen, kann dies ein Frühindikator dafür sein, dass etwas im Markt in Bewegung gerät. Das muss natürlich analysiert und mit anderen Daten abgeglichen werden, um feststellen zu können, ob etwa ein Engpass bei bestehenden Lieferanten droht.
Drittens sind daraus Maßnahmen abzuleiten für die einzelnen Rohmaterialien und Vorprodukte: Z.B. auf Lager kaufen und bevorraten. Oder Verträge mit einer Versorgungsgarantie abschließen, was natürlich extra kostet. Oder die Produktzusammensetzung ändern, wenn Preissteigerungen bei Vorprodukten die Wirtschaftlichkeit des Produktes gefährden, so dass entweder das Produkt verändert oder seine Produktion eingestellt werden muss. Außerdem müssen Unternehmen sicherstellen, dass schnellstmöglich gehandelt werden kann. Die meisten sind nicht vorbereitet, wenn sich Situationen schnell ändern oder zuspitzen. Dann braucht man Krisenteams, die kurzfristig reagieren und sich im Unternehmen Gehör verschaffen können. Dazu sollten Eskalations- und Emergency-Prozesse im Unternehmen etabliert und Lieferketten und Prozesse auf ihre Robustheit hin einem Stresstest unterzogen werden.
Auch nichtmonetäre Aspekte wie Nachhaltigkeit bewerten
Fazit: Wie für kaum eine andere Branche stellt sich der Stahlindustrie derzeit die Frage nach dem zukünftigen Geschäftsmodell. Die Unsicherheit über den weiteren Konjunkturverlauf, soll trotz bestehender Überkapazitäten die Produktion ausgeweitet und viel Geld investiert oder sollen besser Reserven vorgehalten werden? Welche Kosten wird die Umstellung auf eine umweltfreundliche Produktion mit sich bringen? Wie viele CO2-Zertifikate sind nötig, wie teuer werden diese sein?
Klar ist, dass ein Unternehmen langfristig nur bestehen kann, wenn es ihm gelingt, Lieferanten und Kunden an den Kosten der Dekarbonisierung zu beteiligen. Dazu muss es aber nicht nur die unmittelbaren Kosten, sondern auch die nichtmonetären Aspekte erfassen und in die Verhandlungen einbringen. Dazu gehören beispielsweise Nachhaltigkeit, Lieferketten-Robustheit und Transparenz. Am besten dazu eignet sich die Total Value of Ownership-Betrachtung TVO. Diese Methode ermöglicht, alle unternehmerischen Kosten aktiv zu bewerten, auch die nichtmonetären Aspekte. Und nur wenn Verhandler alle diese Aspekte in Euro oder Dollar umgerechnet haben, wissen sie bei den Verhandlungen mit Lieferanten und Kunden, ob das Endergebnis auch langfristig nachhaltig für das eigene Unternehmen ist.
Über den Gastautor
René Schumann ist einer der beiden Gründer und Geschäftsführer der Negotiation Advisory Group (NAG). Die Gesellschaft sieht sich als die europaweit führende Verhandlungsberatung. Schumann folgt dabei der Vision, die noch größtenteils unbekannte Methode der Spieltheorie in den Markt zu tragen und für Kunden zugänglich zu machen.