Kostenreduktion nur zu Lasten der CO2-Reduktion
Günstigere Alternativen sind denkbar, aber sie würden nur eine teilweise CO2-Einsparung erbringen. Entweder man begnügt sich nur mit einer Teilreduktion des CO2-Ausstoßes in einem hybriden Stahlwerk, wie vom SALCOS-Projekt als Zwischenstufe vorgeschlagen12, ersetzt nur einen Teil des Wasserstoffbedarfs auf der DRI-Route durch Elektrolyse- Wasserstoff13 oder man wählt eine Route mit Carbon Capture and Usage (CCU, Carbon2Chem), unter Beibehaltung der integrierten Stahlherstellung. Das wäre etwa mit der Methanisierung von CO2 aus Hüttengasen mittels Wasserstoff denkbar. Studien stellen beispielhafte H2-Volumenströme dar, deren Elektrolyse- Energiebedarf ungefähr ein Drittel des oben erwähnten Aufwands für die Total- Dekarbonisierung des Linzer Stahlwerks betrüge.14
Niedrigenergie-Prozesse sind keine Lösung
Strebt man jedoch die vollständige Dekarbonisierung an, müssen Staat, Gesellschaft und Industrie ungeheure Ressourcen an Raum, Rohstoffen und Kapital allein für die überschaubare Aufgabe der Stahlproduktion mobilisieren. Hinzu treten die Anforderungen der Sektorkopplung an die Erneuerbaren und die Wasserstoffwirtschaft. Sie sollen ja auch noch Wärme für den Wohnungssektor und Energie für Mobilität bereitstellen.15 Wenn wir uns nun noch vor Augen führen, dass überdies auch die Produktion der Windkraftanlagen- oder PV-Komponenten CO2-arm bestritten werden müsste, damit diese Materialschlacht klimapolitisch noch vertretbar wäre, liegt auf der Hand, dass extensive Prozesse mit Niedrigenergie-Maschinen offenbar keine gute Lösung für ein CO2-armes Stahlwerk darstellen. Viel naheliegender wäre die Bereitstellung von elektrischer Leistung aus sehr energiedichten Quellen.
Fazit und Ausblick
Wollen die Deutschen also ernst machen mit der Dekarbonisierung ihrer Stahlindustrie, müssen sie vom Kernenergie-Tabu Abschied nehmen. Kernkraftwerke könnten landschaftlich minimalinvasiv planbare elektrische Energie sowohl für den Direkteinsatz im Elektro-Stahlwerk als auch für eine klimafreundliche Wasserstoffproduktion bereitstellen. Auch auf KKW lasten, je nach politischem Umfeld, spezifische hohe Kosten für Versicherung, Entsorgung und Rückbau. Doch wenn man ein zukünftig markant höheres CO2-Preissignal voraussetzt, könnten KKW als planbare, lastwechselfähige16 und somit systemstabilisierende zero-carbon-Leistung in einem nuklear-erneuerbaren System wirtschaftlich arbeiten.
Die deutsche Energiewende jedoch hat mit ihrer Fixierung auf den Atomausstieg den Korridor für mögliche Lösungen unnötig verengt. Die Umgebungsenergien- Stromwirtschaft stößt bereits heute absehbar an technisch-ökonomische und auch ökologische Grenzen. Die Politik lädt jedoch alle ihr Zukunftshoffnungen der Sektorkopplung auf die Schultern. Die Unternehmen werden lediglich als Umsetzer der politischen Vorgaben wahrgenommen und mit Fördergeldern animiert, sich am Prozess zu beteiligen. Doch dieser Ansatz ist nicht nachhaltig und wird schwerlich geeignet sein, den Industriestandort Deutschland zu dekarbonisieren und gleichzeitig global konkurrenzfähig zu halten.
12: SALCOS, 100, „Ausbaustufe 2“ mit 26% CO2-Reduktion und Außerbetriebnahme eines kleinen Hochofens.
13: Duarte / Dorndorf, 40.
14: Ausfelder et al., „Sektorkopplung“, 67, Tabelle 5, „Roheisen- und Stahlherstellung / Methanisierung“ mit 340 000 m3/h Volumenstrom H2; Produktion von Methanol aus Hüttengas hat begonnen, in: stahl und eisen 138 (2018) Nr. 10, 16f.; Hüttengase als Rohstoffe für die chemische Industrie, in: S&E139 (2019) Nr. 4, 52-53
15: Geht von einer Versiebenfachung des Bedarfs an Windenergie-Zubau aus.
16 :Holger Ludwig, Tatiana Salnikova und Ulrich Waas, Lastwechselfähigkeiten deutscher KKW, in: Sonderdruck aus Jahrgang 55 (2010), Heft 8/9 August/September Internationale Zeitschrift für Kernenergie, 2-9; Improving automated load flexibility of NPP with ALFC, in: VGB PowerTech 5 (2016), 48-52; Aliki van Heek, Hybrid systems: mixing things up, in: Nuclear Engineering International, 20. 06. 2019.
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