Der Klimawandel stellt die Branche vor große Herausforderungen. Eine Antwort der deutschen Stahlindustrie ist die Entwicklung und Erprobung neuer Produktionsverfahren mit dem Ziel der CO2-Vermeidung. „Grüner“ Wasserstoff als Reduktionsmittel soll mit Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen werden. Doch die erneuerbare Stromwirtschaft stößt zunehmend an technisch-ökonomische und auch ökologische Grenzen – das wird zur Herausforderung für ein CO2-armes Stahlwerk.
Zur Autorin: Dr. Anna Veronika Wendland ist Osteuropa- und Technikhistorikerin und beschäftigt sich in ihrer Forschung unter anderem mit Energie- und Reaktorsicherheit. Sie ist Teilprojektleiterin am Sonderforschungsbereich Transregio SFB-TR 138 „Dynamiken der Sicherheit“ (Marburg / Gießen).
Etwa 6 % des in Deutschland ausgestoßenen anthropogenen CO2 stammt aus den Produktionsketten der Roheisen- und Stahlgewinnung. Die weltweit etablierte und optimierte integrierte Route der Stahlerzeugung mit Kokskohle als Reduktionsmittel und Primärenergieträger emittiert große Mengen CO2. Die Stahlindustrie ist daher im Fokus von Politiken und Technologien zur CO2-Vermeidung. Internationale Abkommen und nationale Festlegungen zur CO2-Bepreisung setzen insbesondere die europäischen Erzeuger zunehmend unter Druck. In diesem Setting hat die Nase vorn, wer früh in Technologien zur CO2-Vermeidung investiert.
Neue Reduktionsverfahren
Eine Antwort der Stahlindustrie ist die Entwicklung und Erprobung neuer Produktionsverfahren mit dem Ziel der CO2-Vermeidung. Im Zentrum solcher Verfahren steht „grüner“ Wasserstoff als Reduktionsmittel anstelle der Kokskohle zwecks Entfernung des Eisenerz-Sauerstoffs. Bei diesem Verfahren wird nur Wasserdampf freigesetzt, beim traditionellen Verfahren CO2. So erproben mehrere Hersteller eine CO2-Direktvermeidung (CDA), bei der die schrittweise Ablösung der Hochofen-Blasstahlwerk-Route (BF-BOF) durch Wasserstoff-Direktreduktion von Eisenerz-Pellets und Weiterverarbeitung des Eisenschwamms zu Flüssigstahl im Elektro-Lichtbogen-Ofen (DR- EAF-Route) vorgesehen ist.1 Ein weiteres Verfahren ist die HIsarna-Technologie, die das Eisenerz in einem Reaktor direkt verflüssigt und mittels Pulverkohle reduziert. Sie soll bis zu 50 % CO2-Ausstoß vermeiden.2
Herkömmliche und „grüne“ Direktreduktion
In herkömmlichen Verfahren zur Direktreduktion werden Erdgas und Gichtgas in einen Umformer geleitet, wo durch eine katalytische Reaktion Wasserstoff abgespalten wird. In einem Schachtofen werden Eisenerz-Pellets in dem so entstehenden, zu 60 % aus Wasserstoff bestehenden rund 1 000 Grad Celsius heißen Reduktionsgasstrom zu metallischem Eisenschwamm reduziert. Dabei wird zwar weniger CO2 freigesetzt als auf der Hochofenroute, aber das Verfahren ist nicht CO2-emissionsfrei.
Daher soll in Zukunft der Wasserstoff ausschließlich durch Wasserspaltung aus Elektrolyse gewonnen werden. Der Elektrolyseur wiederum soll mit „grünem“, CO2-arm produzierten Strom betrieben werden. Auch der Strom für den nach- geschalteten Lichtbogenofen sollte aus CO2-armer Energieumwandlung stammen. Solche Verfahren werden wiederum als wichtige Säulen der sogenannten Sektorkopplung angesehen, d.h. der Dekarbonisierung durch die energetische Kopplung von Strom-, Wärme-, Verkehrs- und Industriesektor.
National unterschiedliche Ansätze
Als Stromlieferanten für eine CO2-arme Elektrolyse kommen die Umgebungsenergien Wasserkraft, Biomasse, PV und Windkraft genauso in Frage wie die Kernenergie. Wasserkraft und Biomasse sowie Kernenergie haben den Vorteil, sowohl CO2-armen als auch planbaren Strom zu liefern; Windkraft und Photovoltaik haben den Nachteil, intermittierende Erzeuger zu sein. Frankreich setzt vor allem auf Atomstrom, Österreich auf Wasserkraft, Schweden auf beides; auch in der Ukraine und Russland stammt CO2-arme Bandenergie für die Industrie vor allem aus Kern- und Wasserkraftwerken. In Deutschland jedoch, das weder über nennenswerte Wasserkraftreserven verfügt noch Kernenergie akzeptieren möchte, bleiben nur Windkraft und Photovoltaik.
1: SALCOS – schrittweise, flexible Dekarbonisierung auf Basis bewährter Technologie, in: stahl und eisen 138 (2018), Nr. 11, 95-101; Pablo Duarte / Markus Dorndorf, Technological achievements and experience on H2 use for DRI production in Energiron Plants, in. stahl und eisen 139 (2019) Nr. 10, 38-43.
2: Tata Steel geht wichtige Schritte bei nachhaltiger Stahlproduktion, in: stahl und eisen 139 (2019), Nr. 1, 46-47.