Die Herausforderungen, vor denen die deutsche Automobilindustrie steht, sind enorm. Im exklusiven Interview sprechen Frank Heidelberger (Marketingleiter) und Dr. Joachim Kroos (Direktor Technische Kundenberatung) von Salzgitter Flachstahl über die aktuellen Trends in der Automobilindustrie und den Status Quo der Stahl-Zulieferer.
Das Interview ist eine Ergänzung zu der aktuellen Titelstrecke der Ausgabe 05-06/2020 von stahl + eisen, die sich umfassend mit der Automobilbranche auseinandersetzt. Auf den Seiten 14 bis 22 erfahren Sie etwa, warum Stahl trotz des Wandels der Industrie immer wichtiger wird.
Es scheint, die Automobilindustrie steht vor einem epochalen Wandel. Welche Art von Trendwende nehmen Sie derzeit in der Branche wahr?
Heidelberger: Wir erkennen neben dem Megatrend der E-Mobilität drei weitere Trends, die für die Automobilindustrie und deren Lieferanten von Bedeutung sind. Das sind die Trends der Neo-Ökologie, der Konnektivität und der Sicherheit.
Neo-Ökologie äußert sich in der flächendeckenden Neuausrichtung der gesellschaftlichen Werte hinsichtlich Nachhaltigkeit und Effizienz. In welcher Form spiegelt sich dieser Trend in der Automobilindustrie?
Heidelberger: Die Neo-Ökologie zeigt sich insbesondere in der Entwicklung von neuen Antriebskonzepten der Elektromobilität. Diese beginnen bei Hybridfahrzeugen und führen über rein batteriegetriebene Fahrzeuge bis hin zur wasserstoffbasierten Energieversorgung mittels Brennstoffzelle. In der Vergangenheit war die Nutzungsphase des Fahrzeugs maßgeblich für dessen ökologische Bewertung. Nun gewinnt der ökologische Fußabdruck für das Gesamtfahrzeug im Sinne einer Lebenszyklusanalyse „von der Wiege zur Bahre“ zunehmend an Bedeutung.
Welche Rolle spielt darin der Werkstoff Stahl?
Heidelberger: Stahl zeigt entscheidende Eigenschaften, die sowohl die Trends zur Neo-Ökologie als auch die steigenden Sicherheitsanforderungen unterstützen. Immer dann, wenn aus Gründen der Nachhaltigkeit der Produktlebenszyklus in den Fokus gerät, dann punktet Stahl konsequent mit seiner ressourceneffizienten Herstellung und seiner unbegrenzten Recyclingfähigkeit.
Das vergleichsweise breite Eigenschaftsspektrum, das für die unterschiedlichsten Anforderungen Lösungen bietet, ist sicherlich eine weitere Stärke von Stahl. Diese eröffnet dem Werkstoff erneut Chancen auch in der Optimierung der Fahrzeugsicherheit und bei der Entwicklung von neuen Antriebskonzepten. So wie Stahl in der Recyclingfähigkeit ein „Permanent-Material“ ist, reagiert das Stahlprodukt auf sich verändernde Anforderungen permanent mit einer neuen Kombination von Produkteigenschaften.
Eingangs wurde die Konnektivität als ein weiterer wesentlicher Trend unserer Zeit bezeichnet. Wie wirkt das Konzept aus Ihrer Sicht derzeit auf den Automobilbau ein?
Kroos: Höhere Anforderungen an die Konnektivität entfalten sich beispielsweise in der zunehmenden Anzahl von Steuerungs- und Assistenzsystemen im Pkw oder im Energiemanagement von Elektrofahrzeugen. Daneben zeigen sich entsprechende Ansprüche aber auch im Management von Wartungsprozessen über Internet-of-things-Schnittstellen bis hin zum komplexen Thema des autonomen Fahrens.
Das klingt erst einmal nach einem informationstechnologischen Ansatz und weniger nach erhöhtem Stahlbedarf.
Kroos: Konnektivität bedeutet für die Fahrzeuge von morgen eine erhöhte Anforderung an elektromagnetischer Verträglichkeit. Zur störungsfreien Kommunikation von Steuerungselementen innerhalb von Fahrzeugen sind abschirmende Maßnahmen von essenzieller Bedeutung. Ebendiese unterstützt der Einsatz von Stahl.
Wie gehen die Zulieferer der Autobauer mit solch hohen technischen Anforderungen um?
Heidelberger: Die zunehmende Digitalisierung und die Entwicklung neuer Antriebskonzepte stellen auch die Automobilzulieferer vor neue Herausforderungen. Für den Verbraucher liefert die Digitalisierung sicher einen Zusatznutzen und verdrängt nur im geringen Maße bewährte Technologien. In der Automobilbranche hingegen geht die Erneuerung des Antriebsstranges auch mit einem Entfall altbewährter Technologien einher. So entfallen Bauteilkomponenten teilweise oder vollständig und das Fahrzeug wird insgesamt weniger komplex.