Es gibt die Redewendung: „Jede Veränderung birgt auch Chancen“. Wo liegen diese?
Heidelberger: Neue Chancen für die Zulieferer ergeben sich beispielsweise durch die Weiterentwicklung von Batteriezellen und Batteriekästen in Elektrofahrzeugen. Hier werden etwa an die Geometrie von Bauteilen neue, außergewöhnlich hohe Anforderungen gestellt. Gleichzeitig werden Skaleneffekte beeinträchtigt, die für eine wirtschaftliche Entwicklung und Fertigung von Automobilen so wichtig sind.
Inwieweit unterliegt der Automobilbau also einer produktionstechnischen Transformation?
Kroos: Durch die Einführung der Elektromobilität werden die Fahrzeuge – bedingt durch das vergleichsweise hohe Batteriegewicht einschließlich der Sekundäreffekte aus der Tragstruktur – signifikant schwerer. Zugleich zeigen diverse Studien, dass das Fahrzeuggewicht für den Energieverbrauch im Fahrbetrieb deutlich weniger von Bedeutung ist als bei vergleichbaren Fahrzeugen mit Verbrennungsantrieb. Daher werden zukünftig für die Fahrzeugkonzepte der Elektromobilität nur noch in begrenztem Umfang Leichtbaukosten akzeptiert.
Die produktionstechnische Transformation betrifft aber nicht nur den Automobilhersteller, sondern die gesamte Produktionskette. Der ökologische Fußabdruck der Produktherstellung gewinnt zunehmend an Bedeutung. Diesen weiter zu reduzieren ist Aufgabe der Stahlhersteller. Während, dem Stand der Technik entsprechend, die Reduktion von Eisenerz bislang über die Hochofenroute mittels Kokskohle erfolgt, bietet der Einsatz von Wasserstoff zur Eisenerzreduktion im Hinblick auf den Trend zur Neo-Ökologie großes Potenzial. Die Salzgitter AG zeigt mit dem SALCOS-Projekt, was in den nächsten Jahren möglich ist.
In welchen Bereichen des Automobilbaus kommt Stahl der Salzgitter AG zum Einsatz?
Kroos: Salzgitter Flachstahl versorgt die Automobilindustrie in den Sektoren Karosserie, Fahrwerk, Antrieb und Interieur mit unterschiedlichen Warm- und Kaltbandprodukten. Dabei reicht das Spektrum im Karosseriebau von weichsten IF-Güten in elektrolytischer, feuerverzinkter oder Zink-Magnesium beschichteter Ausführung mit definierter Oberflächentopographie für komplex umgeformte Außenhautbauteile bis hin zu den höchstfesten Komplexphasenstählen mit einer Festigkeit von mehr als 1000 MPa und ausgezeichneter Kaltumformbarkeit (AHSS). Mit zukünftigen Investitionen, wie etwa dem Bau einer dritten Feuerverzinkungslinie erweitert Salzgitter Flachstahl das Spektrum an feuerverzinkten, insbesondere auch hoch- und höchstfesten Stahlsorten konsequent.
Ergänzend zu den Kaltumformstählen gehen die ultrahochfesten Warmumformstähle (UHSS) bis in den Festigkeitsbereich von 2 GPa. Die letzten beiden Gruppen AHSS und UHSS sind für alle Bauteilbereiche mit hohen Crash-Anforderungen relevant. Für das Fahrwerk kommen höchstfeste bainitische oder lufthärtende Stähle zum Einsatz, die sich durch ihr hervorragendes Umformvermögen oder auch das beeindruckende Dauerschwingverhalten der Schweißverbindungen auszeichnen. Auch für die Verwendung im Antriebsstrang und das Interieur reicht das Spektrum der Stähle über den gesamten Festigkeits- und Duktilitätsbereich.
Besten Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Niklas Reiprich
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