Auf der Jahresauftakt-Pressekonferenz fordert BDI-Präsident Siegfried Russwurm ein Wachstumsprogramm 2030 für mehr Investitionen. Er warnt außerdem die Politik in Bund und Ländern davor, im beginnenden Wahlkampf den Blick auf die Herausforderungen am Standort Deutschland zu vernachlässigen.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sieht die Erholung der wirtschaftlichen Aktivität in der Industrie weiter gefährdet. „Die Unsicherheit über die weitere Entwicklung der Corona-Pandemie ist groß, die wirtschaftliche Lage bleibt schwierig“, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm am 12. Januar in Berlin. „Für Deutschland erwartet der BDI in diesem Jahr einen BIP-Zuwachs in einer Größenordnung von 3,5 Prozent.“ Eine Rückkehr zum Vorkrisenniveau werde also im laufenden Jahr noch nicht erreicht. „Es sollte aber eine gute Chance geben, dass das dann im ersten Halbjahr 2022 gelingt“, wagt Russwurm eine Prognose. Im vorigen Jahr war das BIP um rund fünf Prozent eingebrochen. Für die Exporte gehe der BDI laut Russwurm von einer Steigerung um sechs Prozent aus – nach dem Absturz um elf Prozent 2020.
Politik muss „verlässlichere Planungsgrundlage“ liefern
Mit Blick auf die Corona-Pandemie plädierte Russwurm für eine Offenhaltung industrieller Aktivität. Es sei wichtig, die Industrie weiter am Laufen zu halten – „trotz verschärfter Lage, trotz ausgeweiteter Mobilitätseinschränkungen und großflächiger Schulschließungen“. Nur mit einer starken Industrie könne Deutschland zuversichtlich auf weiterhin notwendige Unterstützung der vielen Hilfsbedürftigen aus der Wirtschaft blicken. Dazu zählen Russwurm zufolge vor allem kleine und mittlere Unternehmen sowie Solo-Selbstständige und Kulturschaffende, deren Geschäftsmodell in den vergangenen Monaten zusammengebrochen ist. Doch auch große Unternehmen seien nicht außer Acht zu lassen.
Vor diesem Hintergrund verlangte Russwurm von den politischen Entscheidern in Bund und Ländern mehr Berechenbarkeit und eine verlässlichere Planungsgrundlage: „Keine Symbolpolitik mit dem Prinzip Hoffnung, sondern eine Mittelfrist-Strategie nach dem Prinzip Evidenz“, lautete der Appell. Die Erwartung sei groß, dass die Politik „spätestens im Februar differenziertere und kreativere Lösungen liefert statt weiterer pauschaler Schließungen“. Dazu zählten nach Angaben Russwurms auch explizite Vorschläge für Lockerungen.
Hinsichtlich der in diesem Jahr bevorstehenden Bundestagswahl warnt der BDI-Präsident davor, den Blick auf die Herausforderungen am Standort Deutschland zu vernachlässigen: „Corona hat nicht die Pause-Taste gedrückt, sondern ‚Fast Forward‘. Es würde sich bitter rächen, wenn akutes Krisenmanagement und Wahlkampf den Blick auf die erforderliche Dynamik des Standorts Deutschland verstellen und wir so ein Jahr verlieren würden“, so Russwurm, der weiter betont: „Deutschland hat das Zeug zu mehr.“
Auch auf den Strukturwandel wirke die Corona-Krise tiefgreifend. „Deshalb braucht es weniger Belastungen, weniger Bürokratie, weniger Steuern“, meint Russwurm. Zudem mangle es an einer angemessenen Infrastruktur und Anreizen für Innovationen und Investitionen. Letztere Lücke sei im vergangenen Jahr weiter aufgerissen. Nach wie vor fehlten allein öffentliche Investitionen von mindestens 20 Milliarden Euro pro Jahr. „Wer künftig nicht mit dem Rotstift regieren will, muss auf Wachstum setzen“, forderte der BDI-Präsident.
BDI gegen „jedwede zusätzliche Belastung von Unternehmen“
Neben der Corona-Pandemie steht die Industrie hierzulande und europaweit immer ehrgeizigeren Klimazielen gegenüber. Auch hier fehlten notwendige Investitionen in entsprechende Technologien. Der neue nationale CO2-Preis brauche dringend einen wirksamen Korrekturmechanismus, betont Russwurm: „Er muss das Abwandern energieintensiver Industrien in Regionen mit weniger anspruchsvoller Regulierung verhindern und darf gleichzeitig nicht zur Ausrede für neue Zölle und nichttarifäre Handelshemmnisse werden.“ Die deutsche Industrie verfüge auf dem Weg zu Klimaneutralität 2050 über das Potenzial, Technologien mit Weltmarktchancen zu entwickeln und international zur Anwendung zu bringen – wenn sie global wettbewerbsfähig ist.
Wie die Stahlbranche hierzulande zum CO2-Preis und etwaigen Einfuhrbeschränkungen steht, zeigt ein aktueller Überblicksartikel. Er stellt die Positionen zweier prominenter Industrieverbände gegenüber – der Wirtschaftsvereinigung Stahl und dem Industrieverband Blechumformung.
Russwurm wandte sich gegen Überlegungen für jedwede zusätzliche Belastung von Unternehmen: „Für mehr Investitionen am Standort braucht es ganz sicher keine Diskussion über höhere Steuern.“ Alles, was industrielle Aktivität sichere und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie am Standort stärke, erhöhe die Chance, dass die Bundesrepublik aus den Corona-Schulden herauswachse. „Die Bundesregierung muss endlich den Reformstillstand in der Steuerpolitik überwinden“, so Russwurm.
Im Fokus stünden zwei zentrale Reformideen: „Entscheidend bleibt, die Steuerbelastung der Unternehmen maximal auf wettbewerbsfähige 25 Prozent des Ertrags zu senken. Ein weiterer schneller Schritt für größere Liquidität der Unternehmen ist die Ausweitung der Verlustverrechnung, also die Möglichkeit, Verluste aus 2020 und 2021 mit Gewinnen aus Vorjahren zu verrechnen.“
Weltwirtschaft: „Solide Erholung in Sicht“
Die weltwirtschaftlichen Perspektiven sind nach Ansicht des BDI-Präsidenten 2021 für die exportstarke deutsche Industrie besser als erwartet: „Die Wahl von Joe Biden zum US-Präsidenten erleichtert den Weg für multilaterale Lösungen und gemeinsame Initiativen für faire Wettbewerbsbedingungen auf den Weltmärkten“, sagte Russwurm. Vom globalen Wachstumstreiber China würden die hiesigen Unternehmen profitieren, ebenso von der jüngsten Einigung auf ein Investitionsabkommen. In der Weltwirtschaft sei insgesamt nach dem starken Einbruch solide Erholung in Sicht, vor allem ab dem zweiten Quartal dieses Jahres.