Zur Klimawende in der Stahlindustrie hat Roland Berger eine neue Studie veröffentlicht. Unter dem Titel „The future of steelmaking – How the European steel industry can achieve carbon neutrality“ bewertet die internationale Unternehmensberatung mögliche Technologien und zeigt auf, wie eine Transformation gelingen kann.
Die europäische Stahlindustrie steht unter Zugzwang. Im Augenblick ist das stahlproduzierende Gewerbe mit 22 Prozent der größte industrielle CO2-Emittent in Europa. Gleichzeiig hat die Europäische Union zur Erfüllung des Pariser Klimaabkommens beschlossen, bis 2050 klimaneutral zu werden. Mit den derzeit angewandten Methoden zur Herstellung von Roheisen und Stahl, wird die EU dieses Ziel verfehlen, meint Roland Berger. Den Beratern zufolge müssen die Unternehmen ihre Produktion auf eine neue, großflächig einsetzbare und vor allem klimaneutrale Technologie umstellen.
„Wenn die europäische Stahlindustrie die Klimaziele der EU erreichen soll, muss kräftig investiert werden. Wir rechnen mit rund 100 Milliarden Euro, um allein die Rohstahlproduktion aus Eisenerz auf Klimaneutralität umzustellen“, sagt Akio Ito, Partner von Roland Berger. Allerdings könnte selbst diese Summe zu niedrig angesetzt sein, die weltweite Rohstahlproduktion wächst. Bis 2050 geht Roland Berger von einem Plus zwischen 30 bis 50 Prozent aus. „Wenn die Unternehmen die Investitionen alleine tragen müssen, werden sie den Stahl auf einem eh schon stark umkämpften Markt nicht mehr zu konkurrenzfähigen Preisen anbieten können, sofern sie die Transformation überhaupt finanzieren können“, warnt Akio Ito.
Wasserstoffbasierte Verfahren technologisch weit fortgeschritten
Für die Stahlindustrie ist die Frage nach der richtigen technologischen Lösung für eine umfassende CO2-Reduktion noch nicht abschließend beantwortet. So könnte der CO2-Ausstoß durch eine Kombination von CO2-Speicherung und teilweisem Einsatz von Biomasse im Hochofen zwar reduziert werden. Allerdings wäre es nicht möglich, ihn auf null zu senken. Andere Optionen wie die Plasma-Direktstahlerzeugung oder die elektrolytische Reduktionsverfahren befinden sich in einem sehr frühen Entwicklungsstand. Das bringt große Unsicherheiten für einen industriellen Einsatz mit sich.
„Wir haben verschiedene Verfahren auf ihre technologische Verfügbarkeit, Realisierbarkeit in Großanlagen sowie die wirtschaftliche Tragfähigkeit hin untersucht“, sagt Partner Bernhard Langefeld. „Wasserstoffbasierte Direktreduktion ist unserer Ansicht nach am weitesten entwickelt und – sobald es denn genügend grüne Energie gibt – für das Klima am sinnvollsten.“
Allerdings sind wasserstoffbasierte Reduktionsverfahren zur Stahlerzeugung nicht von heute auf morgen einsetzbar. So benötigt die Wasserstofferzeugung sehr große Mengen an Energie. „Der Gesamtenergiebedarf für eine klimaneutrale Stahlproduktion beläuft sich auf circa 120 Terrawattstunden (TWh) pro Jahr“, sagt Langefeld. Zum Vergleich: Momentan ist die weltweit größte Anlage zur Wasserstoff-Elektrolyse in Hamburg geplant. Sie kann – so Roland Berger – bei einer optimalen Laufleistung nicht ganz 1 TWh pro Jahr erzeugen.
Politische Unterstützung notwendig
Den Aufbau solcher Kapazitäten kann die Stahlindustrie nicht umsetzen, ohne die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Endprodukte zu riskieren. Dabei ist der Anteil der europäischen Stahlproduktion am Weltmarkt bereits in den letzten Jahrzehnten deutlich gesunken. „Ohne eine politische Unterstützung ist es sehr wahrscheinlich, dass große Teile der Wertschöpfungskette aus Europa in Länder mit billiger Energie und weniger Regulierung verlagert werden“ warnt Akio Ito. Das würde bedeuten, dass die weltweite Stahlproduktion weiterhin sehr CO2-intensiv und damit klimaschädlich bliebe.
Das Fazit für Roland Berger: Die EU sollte selbst aktiv werden und unter anderem sicherstellen, dass importierter Stahl und importierte Stahlprodukte in Zukunft die gleichen regulatorischen Anforderungen erfüllen wie inländische Produkte. Alternativ müssten sie entsprechend besteuert werden, so Roland Berger. Außerdem müssten klare Rahmenbedingungen vereinbart werden, die die notwendigen Investitionen langfristig absichern. „Die EU oder die einzelnen Regierungen sollten zusätzlich notwendige Steuererleichterungen, Subventionen und Finanzierungen anbieten, um den Stahlproduzenten den Umstieg zu ermöglichen. Die finanziellen Folgen von Covid-19 können die Stahlunternehmen auf Jahre belasten, daher wären Konjunkturpakete für Grünen Stahl sinnvoll“, rät Akio Ito.
Die Studie stellt Roland Berger als kostenlosen Download zur Verfügung.
Quelle: Roland Berger, Beitragsfoto: Shutterstock