Für die Festigkeit von Stahl spielen Kohlenstoffatome eine wichtige Rolle – und doch war deren kollektives Verhalten bisher nicht vollständig verstanden. Eine gemeinsame Arbeit an der Ruhr- Universität Bochum (RUB) und dem Max-Planck-Institut für Eisenforschung (MPIE) hat nun Licht ins Dunkel gebracht. Demnach treibt ein komplexes energetisches Wechselspiel die Kohlenstoffatome in dem Metall an ihre Plätze.
Die wichtigsten Bestandteile von Stahl sind die Elemente Eisen und Kohlenstoff. Entscheidend für die Festigkeit dieses Materials ist in erster Linie die Verteilung der Kohlenstoffatome (C-Atome). Nehmen letztere nach der Stahlherstellung eine bestimmte Ordnung ein, sprechen Experten von Martensit.
Wenn die Kohlenstoffkonzentration kippt
Die Details der Bildung dieser Struktur gaben der Forschung allerdings jahrzehntelang Rätsel auf. Bis zu einer bestimmten Konzentration von Kohlenstoff sammeln sich die C-Atome aus energetischen Gründen an Grenzflächen und Defekten im Gitter der Eisenatome an. Steigt die Kohlenstoffkonzentration über einen bestimmten Wert, findet sich der Überschuss der C-Atome nicht mehr an solchen Defekten – obwohl dort eigentlich noch genug Platz wäre. Vielmehr verteilen sich die C-Atome ab dieser Konzentration auf eine geordnete Weise im Kristallgitter. „Dabei ist der Abstand der Kohlenstoffatome im Gitter eigentlich viel zu groß, um eine solche Ordnung chemisch zu begründen“, so Dr. Jutta Rogal. Sie forscht am Interdisciplinary Centre for Advanced Materials Simulation Icams der RUB.
Warum sich die Atome derartig verhalten, hat das interdisziplinäre Team der beiden Institute durch eine Kombination von theoretischen Berechnungen und Experimenten herausgefunden. Dadurch sind die Forscher zu dem Ergebnis gekommen, dass in Stählen „stark anharmonische Verzerrungen der Gittermatrix in bestimmte kristallographische Richtungen“ bestehen. Diese seien folglich für das Kippen zwischen der Ansammlung von Kohlenstoffatomen an Defekten hin zu einem geordneten Aufsuchen bestimmter Plätze im Metallgitter verantwortlich. „Ist die Kohlenstoffkonzentration zu gering für starke Verzerrungen, ist es energetisch am wenigsten aufwändig, Grenzen oder Defekte zu besetzen“, erklärt Dr. Tilmann Hickel vom MPIE. „Ab einer gewissen Konzentration stellt sich aber ein kollektiver Effekt der Atome ein, weil dieser Zustand mit einer Absenkung des chemischen Potenzials einhergeht“, so Hickel. Das wiederum entspreche den Gesetzen der Thermodynamik nach einer Energieminimierung.
Komplexe Zusammenhänge für Herstellung von Stahl
Die Forscher weisen zugleich auf komplexe Zusammenhänge hin. Will man die Prozesse der Werkstoffherstellung steuern, müssten diese beachtet werden. „Wir müssen die Energie des gesamten Systems als Funktion von Druck und Temperatur im Auge haben“, fasst Dr. Jörg Neugebauer vom MPIE zusammen. Gleichzeitig müsse aber auch die Energetik des einzelnen Teilchens erfasst werden. Nur so sei es dem Forschungsteam gelungen, die theoretischen Vorhersagen mit den gemessenen Daten in Einklang zu bringen.
Für die konkreten Messungen an verschiedenen Werkstoffen kamen die Atomsondentomografie und die Transmissionselektronenmikroskopie zum Einsatz. Förderung erhielten die Arbeiten von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
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