Indiens Stahlproduktion ist im vergangenen Jahr um 10,6 Prozent gesunken. Dennoch sind klare Zeichen für eine nachhaltige Erholung in einigen Abnehmerbranchen zu sehen. Das gilt vor allem aufgrund des geplanten Infrastrukturausbaus.
Der Beitrag stammt von unserem New Yorker Korrespondenten Manik Mehta und wurde vor Kurzem in unserer Fachzeitschrift »stahlmarkt« veröffentlicht. In deren Rubrik »Handel & Service – International« gibt die Redaktion regelmäßig spannende Einblicke in die Situation der Stahlbranche im Ausland.
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Nach den Zahlen des in Brüssel ansässigen Weltverbands der Stahlindustrie, World Steel Association, ist Indiens Stahlproduktion 2020 um 10,6 Prozent auf 99,6 Millionen Tonnen gefallen. Das Land erzeugte demnach circa 111,4 Millionen Tonnen Rohstahl. Zum Vergleich: Die globale Rohstahlproduktion fiel um 0,9 Prozent auf 1 867 Millionen Tonnen im vergangenen Jahr, nachdem 1 880 Millionen Tonnen Stahl im Jahr 2019 hergestellt wurden. Ähnlich stark wie in Indien ist die Stahlproduktion in Deutschland um 10 Prozent auf 35,7 Millionen Tonnen gesunken (2019: 39,5 Millionen Tonnen Rohstahl).
Indien bleibt zweitgrößter Stahlerzeuger
Trotz des Produktionsrückgangs bleibt Indien weiterhin der weltweit zweitgrößte Stahlhersteller nach China. Chinas Stahlerzeugung stieg hingegen im vergangenen Jahr um 5,2 Prozent auf 1.053 Millionen Tonnen an (2019: 1.001,3 Millionen Tonnen).
Seit dem Einbruch der Produktion und des Absatzes von Stahlerzeugnissen infolge der Coronakrise im April 2020 sehen Indiens Stahlhersteller erste Zeichen für eine Erholung. Die Unternehmen erwarten bei der Nachfrage in wichtigen Abnehmerbranchen eine Rückkehr auf den Wachstumspfad. Der Export hat sich in den vergangenen Monaten bereits gut entwickelt und der Binnenmarkt soll bald nachziehen.
Stärkste Wachstumsimpulse vom Infrastruktursektor
Auch wenn die Nachfrage noch hinterherhinkt, gibt es deutliche Zeichen für eine nachhaltige Erholung in einigen Abnehmerbranchen. Eine Rückkehr zum Vorkrisenniveau sei frühestens Mitte 2021 zu erwarten, lautet die Einschätzung des Stahlverbandes Indian Steel Association (ISA). Die stärksten Wachstumsimpulse dürften vom Infrastruktursektor kommen. Die indische Regierung hat angekündigt, zentrale Pfeiler ihres 2019 vorgestellten Investitionsplans mit einem Volumen von umgerechnet 1,3 Billionen Euro bis 2024 umsetzen zu wollen. Und zwar trotz einer zusätzlichen Haushaltsbelastung von umgerechnet 250 Milliarden Euro durch das Coronahilfsprogramm. Teile des Investitionsplans sind das Straßenbauprogramm Bharatmala mit einem Investitionsvolumen von umgerechnet 60 Milliarden Euro sowie der Ausbau des Schienennetzes um rund 35 000 Kilometer.
Auch wenn der Bedarf an Stahlerzeugnissen in der verarbeitenden Industrie zurzeit in vielen Segmenten noch weit unter dem Vorkrisenniveau liegt, ist bei Kfz, Investitions- und langlebigen Konsumgütern wieder ein Aufwärtstrend zu beobachten. Waren Produktion und Absatz von Pkw sowie Zwei- und Dreirädern im ersten Quartal 2020/21 jeweils um 80 Prozent eingebrochen, wurden im August 2020 nur noch 3 Prozent weniger Fahrzeuge als im Vergleichsmonat 2019 hergestellt. Der Absatz von Pkw verzeichnete sogar ein Plus von 14 Prozent auf rund 216.000 Einheiten, so die Zahlen der Society of Indian Automobile Manufacturers (SIAM).
„Indien strebt die verstärkte Herstellung unter anderem von Kfz-Teilen, Elektrogeräten, Unterhaltungselektronik und Investitionsgütern an. Das dürfte auch die Nachfrage nach einheimisch produzierten Stahlerzeugnissen steigern.“
Aufwärtstrend auch bei Kfz
Nach der Einschätzung von Industrieexperten kann das Ziel einer erhöhten Selbstversorgung von Ausrüstung und anderen Industriegütern (zum Beispiel für die Stromerzeugung und für den Fernmeldebereich sowie die bei der Metallverarbeitung angewandten Maschinen) die Stahlnachfrage weiter anheizen. Die heimische Produktion von Haushaltsgeräten und Unterhaltungselektronik zeigt auch einen Aufwärtstrend, was zu erhöhtem Stahlbedarf führen kann. Die im Mai 2020 beschlossene, neu ausgerichtete Wirtschaftspolitik kann den Stahlbedarf in diesen Branchen verstärken.
Indien strebt die verstärkte Herstellung einiger Produktgruppen an, um unabhängiger von Importen vor allem aus China zu werden. Zu diesen Gruppen gehören unter anderem Kfz-Teile, Elektrogeräte, Unterhaltungselektronik und Investitionsgüter. Die Herstellung solcher Erzeugnisse in Indien wird auch die Nachfrage nach einheimisch produzierten Stahlerzeugnissen steigern.