Kraft über den Werkstoff hinaus
Ähnlich wie im Film „Conan der Barbar“, der Anfang der 1980er Jahre ins Kino kam, wird dem Stahl ein Geheimnis, eine reine Form zugesprochen, deren Kraft über den Werkstoff hinausgeht und im Menschen eine positive Weiterentwicklung fördert. Die Band Warlock aus Düsseldorf nannte ihr 1986er-Album „True As Steel“, die Herner Avenger, heute bekannt als Rage, intonierten „Prayers of Steel“ auf dem gleichnamigen Album von 1985. In Wattenscheid nannte sich die erste Band des Gitarristen Axel Rudi Pell schlicht Steeler und bezog sich damit nicht auf den Nachbarort Essen-Steele. Doch der Stahl hat auch eine dunkle Seite: Kreator aus Altenessen bekreischten 1986 im Song „Command of the Blade“ mit jugendlichem Zorn die stählerne Klinge eines gnadenlosen Mörders, Deathrow aus Düsseldorf betitelten ihr 1987er-Album „Raging Steel“ und übten im Titelsong Kritik an Kriegstreibern und religiösen Fanatikern.
Die Fackel wird immer weitergereicht
Durch den Strukturwandel gingen zur gleichen Zeit massenhaft Arbeitsplätze in der Schwerindustrie verloren. Auch Judas Priest optimierten sich und tauschten ihren langjährigen Schlagzeuger gegen ein jüngeres Modell aus um 1990 mit „Painkiller“ ein Album zu veröffentlichen, das vor Stahl-Referenzen nur so strotzte. Den Fackelstab reichte die Band aus Birmingham damals an die Newcomer Pantera weiter; deren obskures Debüt-Album trägt den Titel „Metal Magic“. Im Jahr 2000 schloss sich der Kreis, als Pantera einen Neuanfang wagten und das Album – natürlich – „Reinventing the Steel“ nannten. Der Versuch floppte, denn im Mainstream war elektronische Stahlmusik angesagt, die treffend „Industrial“ genannt wurde. Den Hochofen kannten deren Musiker meistens aber nur noch vom Hörensagen.
In der DNA bleiben Eisen und Stahl dennoch tief verankert, ein Blick auf die letzten Monate genügt. Burning Witches aus der Schweiz singen von der Freiheit auf „Wings of Steel“, Steelpreacher aus Koblenz hören wie „The Iron Calls“ und Ironsword aus Portugal ernennen sich direkt zu „Servants of Steel“. Heaven Shall Burn erinnern in „Tirpitz“ an die Schrecken des Krieges. Innerhalb eines Songs wird das gleichnamige Schlachtschiff von der „Cathedral of Steel“ zur „Tomb of Iron“.
Nah dran – die erste Generation Heavy Metal in Deutschland
Es muss kein Zufall sein, dass Heavy Metal in einer Zeit entstand, in der die Schwerindustrie einen großen Teil ihrer gesellschaftsprägenden Rolle verlor. Birmingham glänzt heute im Dienstleistungs-Sektor und das Rhein-Ruhr-Gebiet erfindet sich stetig neu. „Das metaphorische Metall trat nun an die Stelle des konkreten“, schrieb der Kunsthistoriker Jörg Scheller in seinem Buch „Metallmorphosen“, bezogen auf Solingen, dessen Klingen weltweit ebenso erfolgreich und bekannt sind wie die Band Accept, die aus der bergischen Stadt stammt. Dass Heavy Metal nicht nur musikalische, sondern auch industrielle Traditionen bewahren kann, zeigt sich eindrücklich im Buch „Kumpels in Kutten“ von Holger Schmenk und Christian Krumm. An die Geschichte der Metal-Szene des Ruhrgebiets erinnert es im Zusammenhang mit der industriellen Kultur und Geschichte der Region. Musiker und Malocher werden dadurch im kulturellen Gedächtnis miteinander verknüpft; diese Idee wird bisher allerdings nur in der Metal-Szene selbst aufgenommen.
Auf Veranstaltungen zur Industriekultur sind Metal-Musiker zumindest Mangelware, auch wenn es an geeigneten Persönlichkeiten und Anekdoten nicht mangelt. Viele Künstler der 1980er, vor allem in Deutschland, haben ihre ersten Arbeitserfahrungen in der allgegenwärtigen Industrie gesammelt. Aus der ersten Generation hiesiger Metal-Musiker hat zum Beispiel Grave Digger-Sänger Chris Boltendahl Schlosser gelernt; und Sodom-Frontmann Tom Angelripper vor Kohle gestanden. Accept-Sänger Udo Dirkschneider sollte eigentlich die familiäre Werkzeugfabrik in Solingen übernehmen. Tony Iommi, um zum Anfang zurückzukehren, hat in der Stahlindustrie Birminghams geschafft.
Fazit und Ausblick
Doch auch wenn der Heavy Metal und seine Fans zur melancholischen Erinnerung an alte Tage neigen, würde diese Art von Gedächtniskultur vermutlich nicht zum Charakter des Genres passen. Genauso wie der industrielle Strukturwandel so bald kein finales Ende finden wird, ist auch die Geschichte des Metals längst nicht auserzählt. Im Heavy Metal bleibt die Kraft des Stahls ein zweischneidiges Schwert. Sie kann Macht verleihen, Ketten zersprengen, aber auch Unheil wecken und Vernichtung bringen. Sein Sound aber, so viel ist klar, bleibt stets laut.