Der Stahlkocher thyssenkrupp ist eigenen Angaben zufolge in allen drei Wasserstoff-Leitprojekten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) vertreten: Im Projekt „H2Giga“ treiben die Essener die Industrialisierung der alkalischen Wasserelektrolyse durch automatisierte Serienfertigung voran. Hingegen dient „H2Mare“ der Erprobung der Offshore-Erzeugung von grünem Methanol und Ammoniak, während thyssenkrupp im Projekt „TransHyDE“ das Ammoniak-Cracking testet.
Mit den Wasserstoff-Leitprojekten, seiner bisher größten Forschungsinitiative zum Thema Energiewende, unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Deutschlands Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft. An allen drei Wasserstoff-Leitprojekten ist thyssenkrupp beteiligt. Der Konzern testet die industrielle Produktion, Nutzung und Systemintegration von grünem Wasserstoff. Innerhalb von vier Jahren will thyssenkrupp so bis 2025 seine Technologieführerschaft entlang der gesamten Wertschöpfungskette grüner Chemikalien ausbauen. Dabei geht es um die serienmäßige Herstellung großskaliger Wasser-Elektrolyseure (H2Giga), die Erzeugung von synthetischen Kraftstoffen, grünem Ammoniak, grünem Methanol und synthetischem Methan auf See (H2Mare) sowie Transport- und Umwandlungstechnologien von Wasserstoff, wie das Ammoniak-Cracking (TransHyDE). Mit diesen Leitprojekten werde die Expertise für Wasserstofftechnologien in Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft deutschlandweit gebündelt, heißt es. Damit werde die Initialzündung für Entwicklung, Konzeption und Umsetzung von Wasserstofflösungen im industriellen Maßstab gegeben.
„Mit dem umfassenden Technologieportfolio für sowohl komplett grüne Wertschöpfungsketten als auch das Recycling von Emissionen in Kreislaufführung kann thyssenkrupp die gesamte Wertschöpfungskette für grüne Chemikalien abbilden“, so Martina Merz, Vorstandsvorsitzende der thyssenkrupp AG. „Diese Stärke unseres innovationsgetriebenen Traditionsunternehmens mit der wissenschaftlichen Forschung in den Wasserstoff-Leitprojekten zusammenzubringen, ist das Erfolgsrezept für die Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie und um die deutsche Technologieführerschaft international konkurrenzfähig zu halten.“
Hochskalierung der Wasserelektrolyse auf eine automatisierte Gigawatt-Serienfertigung
Fast 8,5 Millionen Euro Fördergelder werden thyssenkrupp zur Erforschung und Entwicklung einer Großserienfertigung der alkalischen Wasserelektrolyse (AWE) vom BMBF bereitgestellt. Ziel ist es, einerseits Skalierungseffekte zu nutzen und damit die Herstellungskosten senken zu können. Andererseits erlaubt eine Erweiterung der bisherigen Lieferkette von einem Gigawatt (GW) Elektrolysezellen die Umsetzung größerer Projektvolumina. Auf diese Weise sei jährlich eine gleichzeitige Realisierung mehrerer Gigawatt-Projekte möglich, so thyssenkrupp.
Merz betont die Notwendigkeit dieser Forschungsinitiative. „Wir sehen in den letzten Monaten eine deutliche Verschiebung in den Projektgrößen in Richtung mehrerer hundert Megawatt bis Gigawatt, sodass eine großvolumige und automatisierte Serienfertigung bereits heute der Marktnachfrage entspricht. Für diese Größenordnungen ist ein einfaches Upscaling nicht machbar, sondern es müssen disruptive Ansätze angewendet werden, die im Rahmen dieses Projektes entwickelt und in einzelnen Schritten getestet und optimiert werden“, so Merz. So wird einerseits an einer komplett neuen Stack- und Zellentwicklung gearbeitet, um die nächste Technologie-Generation der alkalischen Elektrolyse zu entwickeln. Zusätzlich strebt man die für eine industrielle Serienfertigung notwendige Lieferkettenoptimierung an. Durch den Einsatz von Robotik und Automatisierung werden sowohl die Fertigung, als auch die Montage optimiert.
Punktuelle Wartungsarbeiten an einzelnen Zellen möglich
Das von thyssenkrupp geführte H2Giga-Projekt „INSTALL AWE“ fokussiert sich auf die Industrialisierung der AWE, die laut thyssenkrupp heute die am weitesten entwickelte und eine marktreife Technologie ist und vor allem für großindustrielle Anwendungen eingesetzt wird. Das modulare und standardisierte 20 MW-Modul von thyssenkrupp soll zudem unter ökonomischen und Klimaschutzaspekten vorteilhaft sein. Im Gegensatz zur kompakten Bauweise bei PEM-Elektrolyseuren können mit der Single Element Technologie der AWE punktuelle Wartungsarbeiten an einzelnen Zellen vorgenommen werden, anstatt den gesamten Stack austauschen zu müssen. Das schone Ressourcen und senke die Betriebskosten, erklärt thyssenkrupp.
Wesentlich für diesen Ausbau zur automatisierten Serienproduktion ist nach Konzernangaben die enge Zusammenarbeit mit dem Joint-Venture-Partner Industrie De Nora. Das ist ein Spezialist für Elektrochemie und Qualitätslieferanten für Zellfertigung und Beschichtung. Der vollständig integrierte Arbeitsablauf zwischen thyssenkrupp und De Nora, die bereits vorhandene 1-GW-Lieferkette für Wasserelektrolysezellen und die weltweiten Servicewerkstätten sollen die Basis für diesen nächsten Entwicklungsschritt bilden. Dazu will thyssenkrupp mit seinen langjährigen Partnern wie De Nora und Hoedtke GmbH & Co. KG zusammenarbeiten, aber auch auf neue Kooperationen bauen. Im H2Giga-Innovationspool mit Institutionen, Hochschulen und kleinen spezialisierten Unternehmen der wissenschaftlich-technischen Kompetenz zum Thema Serienfertigung werden breiter aufgestellte Forschungs- und Entwicklungsthemen untersucht, die auch die eigene Entwicklung von thyssenkrupp vorantreiben soll.
Offshore-Ammoniak für Direktverschiffung
Im Leitprojekt H2Mare soll die Produktion von Wasserstoff und nachgelagerten Produkten entwickelt werden. Zu den nachgelagerten Produkten zählen synthetische Kraftstoffe, Methanol, Ammoniak und synthetisches Methan auf hoher See. Die von thyssenkrupp bearbeiteten Power-to-X-Prozesse umfassen alle drei letztgenannten Produkte. Das Unternehmen erhält im H2Mare-Projekt „PtX-Wind“ für die Entwicklung der Grundlagen bis zu einem Engineering eine Fördermenge von 780.000 Euro. Als Spezialist für den chemischen Anlagenbau kann thyssenkrupp auf Basis seiner Wasserelektrolyse-Technologie verschiedene integrierte grüne Wertschöpfungsketten anbieten. Dazu gehören zum Beispiel Verfahren zur Herstellung von nachhaltigem Ammoniak, Methanol und synthetischem Erdgas (SNG). Zudem kann das Unternehmen seine Kenntnisse der Prozessoptimierung, des Technologie-Scale-ups, der Modularisierung sowie der Erfahrung aus über 2500 Projekten einbringen. Die ganzheitliche Betrachtung der ausgewählten Anlagen- und Verfahrenskonzepte umfasst thyssenkrupp zufolge alle relevanten Forschungsfragen. Jene reichen von Materialbewertungen über Betriebsmodi bis hin zu Sicherheits- und Umweltkonzepten.
Offshore-Windenergieanlagen liefern laut thyssenkrupp deutlich mehr und regelmäßiger Strom als ihre Pendants an Land. Daher berge die direkte Erzeugung von Wasserstoff und weiterer Power-to-X-Produkte ein großes Potenzial, da das neben Wasser benötigte CO2 und Stickstoff direkt vor Ort aus der Luft gewonnen werden können. Besonders die Erzeugung von grünem Ammoniak könne hier entscheidend sein. Denn aufgrund der hohen Energiedichte und einfacheren Speichertechnik sei Ammoniak in einigen Anwendungen die günstigere Variante gegenüber Wasserstoff. Ein Beispiel dafür sei der Kraftstoff für Schiffe.
In Ländern mit hohem Wasserstofferzeugungspotenzial aufgrund guter Solar- und Windkraftversorgung ist grüner Ammoniak als Exportenergieträger grünem Wasserstoff laut thyssenkrupp überlegen. Da Ammoniak verschifft werde, würden mit der direkten Offshore-Erzeugung durch die Kopplung von Windturbinen mit Elektrolyseuren Transportwege gespart. Damit sänken auch die Kosten. Zudem seien durch die Offshore-Windparkgrößen größere Produktionsvolumina möglich, was wiederum die Absatzpreise verringere und grünes Ammoniak als Energieträger wettbewerbsfähiger mache.
Forschung zu Wasserstoff-Transportlösungen
Auch im dritten Leitprojekt TransHyDE ist thyssenkrupp beteiligt und betrachtet als assoziierter Partner das Potenzial des Ammoniak-Cracking-Verfahrens. Gerade auf lange Distanzen sei der Transport von Ammoniak als Wasserstoffträger rentabler, so thyssenkrupp. Nach dem Transport von grünem Ammoniak und der Rückumwandlung von flüssigem Ammoniak in seine Bestandteile Wasserstoff und Stickstoff an Orte, an denen Wasserstoff benötigt werde, könne der so erzeugte Wasserstoff einer direkten Nutzung zugeführt werden. Als mögliche Anwendung gilt zum Beispiel der Einsatz in Stahlwerken. Weitere Anwendungsbeispiele sind grüner Feed für Chemieanlagen oder in Brennstoffzelle, um in elektrische Energie umgesetzt zu werden.
Über die Wasserstoff-Leitprojekte:
In den Wasserstoff-Leitprojekten arbeiten über 240 Partner aus Wissenschaft und Industrie zusammen. Im Frühjahr sind die Projekte auf Basis unverbindlicher Förder-Inaussichtstellungen gestartet. Insgesamt wird die Förderung nach Informationen von thyssenkrupp etwa 740 Millionen Euro betragen.