Als eine „gewaltige Belastungsprobe“ bezeichnete Martina Merz die wirtschaftliche Situation für die Thyssenkrupp AG. Wie richtig die Vorstandsvorsitzende des Industriekonzerns damit liegt, beweisen nun die Ergebnisse des vergangenen Geschäftsjahres.
Für das Geschäftsjahr 2019/2020, das bei Thyssenkrupp am 30. September endete, weist der Konzern einen Auftragseingang von 28,2 Milliarden Euro aus – 17 Prozent weniger als im Vorjahr. Der Umsatz verringerte sich um 15 Prozent auf 28,9 Milliarden Euro. Der bereinigte operative Gewinn (EBIT) lag mit -1,6 Milliarden Euro unter dem Vorjahreswert (-110 Millionen Euro). „Trotz des Gegenwindes“, kommentiert Vorstandsvorsitzende Martina Merz, „haben wir beim Umbau der Gruppe wichtige Meilensteine erreicht“. Sie betont aber auch, dass die nächsten Schritte „schmerzhafter werden als die bisherigen“.
Thyssenkrupp: Stellenabbau fast verdoppelt
Damit spielt Merz auch auf den geplanten Stellenabbau von nunmehr 11.000 statt 6.000 Arbeitsplätzen bis 2022 an, die meisten davon in Nordrhein-Westfalen. Betroffen sind unter anderem die Standorte Hagen und Olpe, an denen Thyssenkrupp Federn & Stabilisatoren fertigt. Hagen soll fortan – mit verkleinerter Besetzung – als Kompetenzzentrum weitergeführt werden, Olpe hingegen geschlossen. Wahrscheinlicher wird letzteres Szenario nun auch für das Grobblechwerk in Duisburg-Hüttenheim, nachdem vor kurzem der letzte Interessent abgesprungen ist. Betriebsbedingte Kündigungen wolle das Unternehmen dabei vermeiden, machte Personalvorstand Oliver Burkhard deutlich. Ausschließen könne Thyssenkrupp eine entsprechende Maßnahme derzeit allerdings „nicht zu 100 Prozent“.
Entscheidung über Stahl-Zukunft im Frühjahr 2021
Um die strukturellen Herausforderungen im Stahlgeschäft anzugehen, sondiert der Konzern nach eigenen Angaben „ergebnisoffen verschiedene Optionen im Wettbewerb miteinander“. Das indikative Angebot von Liberty Steel werde derzeit eingehend geprüft, sagt Finanzvorstand Klaus Keysberg. Zu „Schnellschüssen“ wolle man sich nicht verleiten lassen. Der Hilfeschrei der IG Metall geht indessen in Richtung eines potenziellen Staatseinstiegs. Details zu einer möglichen „staatlichen Unterstützung“ gibt Keysberg jedoch nicht preis, auch wenn Mittel dieser Art ihm zufolge „eine große Hilfe“ wären. Eine grundsätzliche Entscheidung, wie es mit Steel Europe weitergehen soll, will Thyssenkrupp voraussichtlich im Frühjahr 2021 treffen.
Bis dahin spiegelt die angeschlagene Sparte weiterhin die äußerst angespannte Lage im Stahlmarkt wider, gekennzeichnet durch die Corona-Pandemie und die sinkende Nachrage aus der Automobilindustrie. In der Summe lagen Auftragseingang und Umsatz im Gesamtjahr um 17 beziehungsweise 20 Prozent unter Vorjahr. Das bereinigte EBIT verzeichnete für den Versandeinbruch sowie dem Kostendruck aus der schwachen Auslastung einen Verlust von 946 Millionen Euro (+31 Millionen Euro im Vorjahreszeitraum).
Ausblick
Künftig gilt für den Konzern: „Stop the Bleeding“. So nennt Martina Merz die oberste Priorität des Konzerns, den Mittelabfluss zu stoppen. Etwas Luft verschaffen konnte sich Thyssenkrupp bereits mithilfe des Zuflusses aus der Elevator-Transaktion, die der Gesellschaft rund 15 Milliarden Euro bescherte. Demnach entwickelte sich auch der Free Cashflow positiv und lag mit 9,1 Milliarden Euro über Vorjahr (-1,3 Milliarden Euro). Unter anderem deshalb und dank zusätzlicher Kreditlinien „von insgesamt 13,2 Milliarden Euro“ bewertet der Konzern seine Liquiditätssituation als „sehr gut“.
Für die Aktionäre hält der Konzern jedoch einen Dämpfer bereit: So sei vor dem Hintergrund der bestehenden operativen Herausforderungen für eine Dividende „in diesem Jahr kein Raum“. Auch für das neue Geschäftsjahr rechnet Thyssenkrupp mit einem operativen Verlust im „mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Bereich“.
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