Als Mehrheitseigentümer will nun der italienische Staat das angeschlagene Stahlwerk „Ilva“ im süditalienischen Tarent aus der Krise führen. Dessen derzeitiger Betreiber – ArcelorMittal Italia – muss sich indes mit wachsender Kritik an der Umweltbelastung des Werks auseinandersetzen.
Wie kein anderes Land in der Europäischen Union hat Italien derzeit mit den Folgen der Corona-Pandemie zu kämpfen. Hinzu gesellt sich eine tiefgreifende Regierungskrise. Mit Blick auf die Stahlindustrie sah sich das Land im vergangenen Jahr gezwungen, für fast zwei Monate alle Stahlwerke mit Ausnahme von Arvedi und ArcelorMittal Italia zu schließen, berichtete der Informationsdienst S&P Global Platts. Letzteres Unternehmen schmückt dabei auch abseits der Corona-Lage seit geraumer Zeit die Schlagzeilen der Presse.
Ilva: ArcelorMittal Italia zunehmend unter Druck
Wie Kallanish Steel berichtete, hat das apulische Gericht von Lecce, das Tribunale Amministrativo Regionale (TAR), ArcelorMittal Italia – dem aktuellen Betreiber von Ilva – 60 Tage Zeit gegeben, die Flüssigphase des Werks einzustellen. Der Grund für die Anordnung sei dessen übermäßiger CO2-Ausstoß, beruft sich die Branchenplattform auf die Entscheidung des Gerichts. Demzufolge seien die Emissionen „außer Kontrolle“ und eine Gefahr für das Leben der Bürger von Tarent, die bereits seit Jahrzehnten die negativen Umweltauswirkungen beklagen. Während ArcelorMittal selbst Einspruch gegen eine Schließung des Betriebs erheben wolle, habe auch Federacciai seine Besorgnis geäußert. Der Verband befürchte, „dass eine solche Aktion den Neustart des Werks stoppen oder verlangsamen könnte“. Die Arbeiten zur Verbesserung der Umweltleistung an dem Standort seien nach dessen Angaben im Gange.
Italienischer Staat als Mehrheitseigentümer an Bord
Dabei schien nach monatelangem Zittern um dessen Zukunft – und damit auch um die zahlreichen Arbeitsplätze in der Hafenstadt – nun endgültig eine feste Vereinbarung getroffen, die einen von Europas größten Stahlstandorten aus der Schieflage führen soll. Zuletzt hatte ArcelorMittal bekanntgegeben, eine „öffentlich-private Partnerschaft“ mit der italienischen Betriebsansiedlungsagentur Invitalia gebildet zu haben – eine entsprechende Unterzeichnung erfolgte am 10. Dezember 2020. Damit wurde offiziell: Der Stahlkonzern hat den italienischen Staat als Mehrheitseigentümer an Bord geholt. Mit einer Beteiligung von 60 Prozent ist letzterer in das operative Geschäft jenes Unternehmens eingestiegen, welchem in der Vergangenheit schon mehrere Male das endgültige Aus prophezeit wurde.
Insgesamt fließen dafür 1,1 Milliarden Euro, heißt es in einer Pressemeldung von ArcelorMittal, zu zahlen in zwei Tranchen. Die erste Zahlung in Höhe von 400 Millionen Euro soll – vorbehaltlich der kartellrechtlichen Genehmigung der EU – bis zum 31. Januar 2021 getätigt werden. Dadurch erhält Invitalia zugleich die gemeinsame Kontrolle an dem vor Ort zuständigen Unternehmen AM InvestCo Italy. Die zweite Tranche in Höhe von rund 680 Millionen Euro wird hingegen fällig, sobald alle Bedingungen für den Kauf erfüllt sind. Die Deadline beläuft sich derzeit auf Mai 2022. Zu diesem Zeitpunkt erhöht sich der Anteil Invitalias an AM InvestCo dann auf 60 Prozent. Der Stahlhersteller selbst will ebenfalls bis zu 70 Millionen Euro investieren, um einen Teil der Kontrolle (40 Prozent) zu halten.
Anlagen zur Dekarbonisierung im Fokus
Auch auf einen neuen Industrieplan für Ilva haben sich beide Unternehmen bereits geeignet. Demnach sehen sie unter anderem Investitionen in kohlenstoffärmere Technologien zur Stahlerzeugung vor, darunter den Bau eines Elektrolichtbogenofens (EAF) mit einer Kapazität von 2,5 Millionen Tonnen pro Jahr. Zudem umfasst das Modernisierungspaket, das in erster Linie auf die Umweltverträglichkeit des Werks abzielt, auch den Bau einer Direktreduktionsanlage (DRI). Bis 2025, so das grundsätzliche Ziel, wollen die Partner die Produktion auf 8 Millionen Tonnen pro Jahr erhöhen. Gelingen soll dies etwa durch eine Reihe öffentlicher Unterstützungsmaßnahmen einschließlich einer staatlich finanzierten Beschäftigungsförderung.
Ilva-Mitarbeiter dürfen mit Übernahme rechnen
Im Rahmen der neuen Vereinbarung, so heißt es seitens Invitalia, sollen die insgesamt 10 700 im Werk beschäftigten Mitarbeiter übernommen werden. Zuvor – noch unter alleiniger Führung – hatte ArcelorMittal geplant, knapp die Hälfte der Arbeitsplätze als Bedingung für die Fortsetzung der Produktion abzubauen. Ein entsprechendes Echo löste im vergangenen Sommer unter anderem ein 24-stündiger Streik aus, durch welchen sich die zunehmend besorgten Mitarbeiter eine hörbare Stimme verschaffen wollten. Unterstützung erhielten sie seinerzeit von Wirtschaftsminister Roberto Gualtieri, der den angekündigten Kahlschlag als „inakzeptabel“ bezeichnete. „Das Unternehmen muss seiner Verantwortung bewusst werden“, betonte er hiesigen Medienberichten zufolge im Gespräch mit Gewerkschaftsvertretern.