Mithilfe von Wasserstoff soll die Stahlindustrie künftig CO2-neutral werden. Zahlreiche Großprojekte in der Branche, innerhalb derer die Technologie derzeit erprobt wird, will die Bundesregierung nun finanziell unterstützen. Unser Überblick liefert die wesentlichen Informationen über jene Unternehmen, deren Forschungs- und Entwicklungsarbeit im Rahmen der Fördermaßnahme berücksichtigt wird.
Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) und das Bundesverkehrsministerium (BMVI) haben insgesamt 62 Großprojekte ausgewählt, die im Rahmen eines gemeinsamen Wasserstoffprojekts – den sogenannten „Important Projects of Common European Interest (IPCEI)“ – staatlich gefördert werden sollen. Die Initiative gilt damit auch als eine wichtige Maßnahme bei der Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie, die Deutschland international zu einem Vorreiter bei dem grünen Energieträger machen will. „Wir wollen bei Wasserstofftechnologien die Nummer 1 in der Welt werden. Dafür bündeln wir unsere Kräfte in Europa und stoßen durch das erste gemeinsame europäische Wasserstoffprojekt massive Investitionen in die Zukunftstechnologie Wasserstoff an“, erklärt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Das sichere Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze, in Deutschland wie auch Europa.
Investitionen in Höhe von 33 Milliarden Euro
Für die nun ausgewählten Projekte, die von der Wasserstofferzeugung, über den Transport bis hin zu Anwendungen in der Industrie reichen, wollen die Bundesbehörden über 8 Milliarden Euro an staatlichen Fördermitteln zur Verfügung stellen. Rund 4,4 Milliarden Euro kommen dabei aus dem BMWi, bis zu 1,4 Milliarden Euro steuert das BMVI bei. Die Vergabe der übrigen Fördermittel, so heißt es in einer ersten Veröffentlichung, wird dann auf Länderebene verteilt. Insgesamt sollen sogar Investitionen in Höhe von 33 Milliarden Euro ausgelöst werden, wovon über 20 Milliarden Euro von privaten Investoren kommen sollen.
„Wir machen damit einen großen Schritt auf dem Weg hin zur Klimaneutralität unserer Wirtschaft“, betont Altmaier. Einen zentralen Anwendungsbereich sieht der Minister in der Stahlindustrie, wo durch den Einsatz von Wasserstoff mehrere Millionen Tonnen CO2 eingespart werden können. Mit Blick auf den Stahlstandort Deutschland sei dies „ein wichtiges Signal für die Transformation in Richtung grüner Produktionsverfahren“, findet auch Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Die Anschubförderung von wasserstoffbasierten Verfahren zur Produktion von klimaneutralem Stahl im Rahmen der IPCEI sei ein wichtiger Schritt, damit bereits bis 2030 substanzielle CO2-Reduktionen erzielt werden können. Allein, wo konkret werden die Technologien entwickelt, mit denen dieses ambitionierte Ziel erreicht werden soll?
1. Thyssenkrupp
Das Ziel von Thyssenkrupp ist klar: Bis 2050 soll die Stahlproduktion bei dem Ruhrkonzern klimaneutral werden. In einem ersten Zwischenziel möchte das Unternehmen bis zum Jahr 2030 die Emissionen aus Produktion und Prozessen im eigenen Unternehmen sowie die Emissionen aus dem Bezug von Energie gegenüber dem Referenzjahr 2018 um 30 Prozent senken. Die Stahlsparte Thyssenkrupp Steel Europe (Thyssenkrupp Steel) verfolgt dabei nach eigenen Angaben einen technologieoffenen Ansatz, der neben der Nutzung von Carbon Capture and Usage, kurz CCU) – der Speicherung und Nutzung von anfallendem CO2 – auch die Vermeidung von CO2 durch den Einsatz von Wasserstoff vorsieht. Letztere Strategie fasst das Unternehmen unter dem Namen „tkH2Steel“ zusammen.
„Theoretisch ist mit dem Ersatz des Kohlenstaubs durch Wasserstoff an dieser Stelle im Produktionsprozess ein Einsparpotenzial von bis zu 20 Prozent des sonst anfallenden CO2 möglich“, so Dr. Arnd Köfler, Produktionsvorstand bei Thyssenkrupp Steel, über den Einsatz von Wasserstoff im Hochofen.
Industrieller Großeinsatz in Planung
„Statt Kohlenstoff setzen wir im Hochofen Wasserstoff ein“, erklärt Dr. Arnd Köfler, Produktionsvorstand von Thyssenkrupp Steel den ersten Schritt zur Vermeidung von CO2-Emissionen. Der Wasserstoff ersetzt dabei Einblaskohle: Wo beim Kohleeinsatz CO2 entsteht, entsteht beim Einsatz von Wasserstoff Wasserdampf. Im November 2019 erfolgte am Standort Duisburg-Hamborn der Auftakt zum weltweit ersten von mehreren Versuchen zur Wasserstoffzufuhr an einer der insgesamt 28 Blasformen des Hochofens 9. Den Wasserstoff liefert das Unternehmen Air Liquide per Tanklastwagen.
Mittlerweile ist die erste Testphase erfolgreich abgeschlossen worden. Das Unternehmen hat dabei nach eigenen Angaben „wichtige Erkenntnisse“ gesammelt, um die Versuche im nächsten Schritt auf alle Blasformen auszuweiten und die Technologie in den industriellen Großeinsatz zu übertragen. Dafür soll das Werk via Pipeline ans Wasserstoffnetz von Air Liquide angeschlossen werden. „Theoretisch ist mit dem Ersatz des Kohlenstaubs durch Wasserstoff an dieser Stelle im Produktionsprozess ein Einsparpotenzial von bis zu 20 Prozent des sonst anfallenden CO2 möglich“, so Köfler.
Auch wenn die Umstellung des Hochofens 9 auf Wasserstoff kurzfristig erste Senkungen und auch ein erstes grünes Produkt ermöglicht, ist Thyssenkrupp Steel zufolge eine grundsätzliche Umstellung der Stahlproduktion notwendig. Eine entscheidende Veränderung stellt auch hier der Aufbau von Direktreduktionsanlagen dar, die mit Gasen betrieben werden. Nutzt man dabei Wasserstoff, betont der Stahlhersteller, arbeiten sie emissionsfrei. „Da klimaneutral produzierter Wasserstoff auf absehbare Zeit allerdings nicht in ausreichend großen Mengen verfügbar sein wird, kann vorübergehend auch Erdgas eingesetzt werden“, sieht Thyssenkrupp Steel eine kurzfristige Alternative. Dies senke die Emissionen gegenüber der kohlebasierten Hochofenroute bereits deutlich. Die erste großtechnische DR-Anlage will das Unternehmen im Jahr 2024 in Betrieb nehmen.
Mehr über die Wasserstoff-Projekte bei Thyssenkrupp Steel erfahren Sie in der aktuellen Ausgabe 05/2021 unserer Fachzeitschrift stahl + eisen. Darin macht die Redaktion einen Querschnitt durch Nordrhein-Westfalen – Deutschlands größten und wichtigsten Stahlstandort. Sie sind noch kein Abonnent? Hier geht es direkt zum Shop.
2. ArcelorMittal
Bereits im März 2019 hat ArcelorMittal seine Arbeit an dem Projekt „H2 aus Hamburg (H2H)“ bekanntgeben. Dabei will der Stahlhersteller erstmals Wasserstoff großtechnisch einsetzen, um direktreduziertes Eisenerz (DRI) für den Produktionsprozess zu erzeugen. Zu diesem Zweck plant das Unternehmen, eine weitere Direktreduktionsanlage in seinem Hamburger Werk zu bauen, die mit grünem Wasserstoff betrieben werden soll. Das Investitionsvolumen liegt nach eigenen Angaben bei 110 Millionen Euro.
Der Bau der neuen DRI-Anlage soll noch in diesem Jahr beginnen. Zunächst will ArcelorMittal in der ersten Ausbaustufe 100.000 Tonnen Eisenschwamm mit grauem Wasserstoff (abgespalten aus Prozessgasen auf Basis von Erdgas) am Standort in Hamburg-Waltershof herstellen. In der zweiten Stufe soll die Demonstrationsanlage dann mit einer 50 MW Elektrolyseeinheit dazu beitragen, voraussichtlich 2025 grünen Stahl mit Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen zu erzeugen. Mittelfristig strebt das Unternehmen durch den Aufbau weiterer Elektrolysekapazitäten den vollständig klimaneutralen Betrieb der Anlage in Hamburg an.